Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
in lange, gebogene Wimpern und akzentuiert durch perfekt geschwungene Augenbrauen. Natürlich fehlte ihr die kristalline Grazie der Dame des Hauses. Cattys Gesicht war ein wenig zu sommersprossig, ihr Mund ein wenig zu weit, um den Anforderungen klassischer Schönheit zu genügen. Doch sie hatte Grübchen, wenn sie lächelte, und Lucilla hatte so etwas nicht. Tatsächlich erreichte das stete Lächeln Lucillas nur selten ihre Augen.
Sie würde versuchen, mehr wie Lucilla zu sein. Vielleicht konnte sie ja so mehr über die Dame herausfinden, die ihr Leben in ein starres Gefängnis verwandelt hatte.
Vielleicht würde es ihr dann gelingen, ihren Vater aus den Klauen dieses Weibsbildes zu befreien – auch wenn er offensichtlich nicht befreit werden wollte. Wenn das hieß, dass sie sich anpassen und gehorchen musste – nun, eine andere Wahl hatte sie ohnehin nicht. Das bedeutete allerdings auch, dass sie weiter in wadenkurzen Kinderkleidchen herumlaufen würde und man sie wie ein Kind behandeln würde, bis sie uralt war.
Vielleicht hörten dann aber die Träume auf, die ihr von lauernden Schatten kündeten, die nur darauf warteten, dass sie einen – einen einzigen – Fehler machte.
Kapitel 3
Fünf Frauen saßen um einen Kaffeetisch, obwohl es zu spät für einen Kaffeeklatsch war. Die Tassen waren leer und die Kanne stand inzwischen auf einem Seitentischchen. Die Frauen machten einen seltsam unzusammengehörigen Eindruck. Die Gastgeberin war eine trockene, scharfsinnig dreinblickende Jungfer mittleren Alters, die ihr Haar in einem strengen Knoten zusammengefasst trug. Ein Kneifer steckte auf ihrer Nase. Zu ihrer Linken saß eine überdurchschnittlich rundliche Frau. Sie war um die Vierzig und trug ein buntes Dirndlgewand mit aufgenähten Samtbändern; dann gab es da noch eine recht junge Frau, die nervös wirkte und offenbar daran arbeitete, so zu tun, als wäre ihr dies alles nicht schrecklich neu und sie nicht einigermaßen überfordert. Diesen Eindruck suchte sie mit so viel Entschlossenheit zu verbreiten, dass ihre Gastgeberin bisweilen ein kleines Lächeln unterdrückte. Die vierte Frau wirkte wie ein Schulfräulein oder eine Gouvernante, zugeknöpft in jeder Hinsicht und unnahbar in ihrer Art. Ihr Beruf hatte sich schon allzu früh in ihre Gesichtszüge gefressen, ließ sie ein wenig moralinsauer wirken, obgleich sie so alt noch gar nicht war. Die Fünfte war eine vollbusige, schwarzhaarige Schönheit in schreiend bunter Kleidung, dem Aussehen nach eine Angehörige des Bühnenvolkes. Eine Federboa war etwas aufreizend um sie geschlungen, und entschieden zu viel Schmuck baumelte und klingelte an ihr herum, als wollte sie einem mit dem Klirren verraten, dass weiß Gott nicht alles Gold war, was glänzte.
Man hätte sich kaum eine inkongruentere Gruppe vorstellen können. Dennoch saßen sie beieinander, als wäre das völlig selbstverständlich. Keine von ihnen lächelte, und nur die füllige Dirndlträgerin war noch damit beschäftigt, die letzten Kuchenreste von ihrem Teller zu picken. Rosinen. Sie hatte Rosinen noch nie widerstehen können.
Der Kuchen war ausgezeichnet gewesen.
„Was meinst du dazu?“, fragte die Gastgeberin, die eine Tasse in beiden Händen hielt und intensiv auf deren Boden starrte.
„Ich weiß nicht“, war die Antwort. Die Tasse wanderte von Hand zu Hand, und jede der Damen betrachtete sie eindringlich. Auf dem Boden hatte der Kaffeesatz ein feines Muster gebildet.
Ein Handgelenk klingelte, und die bunt gekleidete junge Frau nahm die Tasse und drehte sie sanft in ihren Händen.
„Himmel voll Flammen, geh von dannen, von dannen“, zitierte sie nach einer Pause.
„Gibt es Krieg?“
Sie zuckte die Achseln.
„Nein. Vielleicht nicht. Können wir ein bisschen schneller machen? Ich muss heute Abend noch arbeiten.“
Die Lehrerin rümpfte die Nase, während die fröhliche Kuchenesserin der schönen jungen Frau die Tasse aus der Hand nahm.
„Ich weiß nicht, wie du das machst, Mädel. Für mich ist es nur Kaffee.“
Die Gastgeberin wandte sich ihr zu.
„Vom Kaffee mal abgesehen – was ist dir aufgefallen?“
„Es kommt ein Sturm. Meine Kräuter wachsen nicht so, wie sie sollen. Grade so, als zögen sie die Köpfe ein, aus Angst, etwas Fürchterliches könnte auf sie niederfahren. Schlecht fürs Geschäft.“ Sie deutete auf einen großen geflochtenen Weidenkorb, der in einer Ecke stand, randvoll mit kleinen Töpfchen und gefüllten Papiertüten. Ein würziger Geruch kam
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