Jenseits des Protokolls
war Christian als gefährdete Person eingestuft und stand so unter einem besonderen Schutz. Eine Wohnung für ihn musste bestimmte Sicherheitsvorkehrungen erfüllen, die bei meiner Wohnung in der Goebenstraße natürlich nicht gegeben waren beziehungsweise der Aufwand zu hoch gewesen wäre, diese dort einzubauen. Also entschieden Christian und ich uns etwa Mitte Juli, eine gemeinsame Wohnung zu suchen.
Mindestens drei Zimmer, ein schöner Balkon, und das am liebsten in unmittelbarer Nähe der Eilenriede, Hannovers Stadtwald – dies zu finden, war daraufhin in den folgenden Wochen sozusagen meine Mission, und die war wahrlich keine leichte. Christian und ich wollten unser Zusammenziehen so lange wie möglich geheim halten. Daher ermittelte ich gewissermaßen »undercover« und hatte einen Makler hinzugezogen. Es war einfach keine Option mehr, auf eine normale Zeitungsannonce zu reagieren und sich zu einem bestimmten Zeitpunkt vor einer Wohnungstür zu sammeln, um dann mit Massen von anderen Interessenten durch die Räume geschleust zu werden. Da hätte dann irgendein Journalist womöglich geschrieben: »Hier schaut sich Ministerpräsident Wulff gerade sein neues Liebesnest an!« Oder die böswilligen hätten getextet: »Wie viel drückt Wulff wohl dem Makler in die Hand, dass er hier wohnen kann?« Darauf konnten wir gut und gerne verzichten, und so nahm die Suche wirklich fast bizarre Züge an. Erst abends, wenn es bereits dunkel war, also zur eigentlich ungünstigsten Zeit, um ein neues Heim auszuwählen, besichtigten Christian und ich die Wohnungen. Aber der Makler war gut gebrieft und so entsprach bereits die zweite Immobilie unseren Vorstellungen. Es war eine Maisonette-Dachgeschosswohnung in der Spinozastraße, um die 120 Quadratmeter groß und mit einer kleinen Dachterrasse, von der wir einen grandiosen Blick über die Stadt und die Eilenriede hatten. Die Miete von knapp 1300 Euro warm war bezahlbar und auch für Annalena, Christians Tochter, die damals 13 war, gab es sogar eine hübsche kleine Schlafnische, sodass sie uns gut besuchen konnte. Am 1. Oktober 2006 zogen wir ein.
Leander war zu Beginn schon etwas eifersüchtig, als er feststellte, dass da jetzt jemand regelmäßig bei uns ist. Öfter als sonst wollte er mit mir kuscheln und suchte meine Nähe. Auch unser erster gemeinsamer Urlaub zu dritt, im Sommer 2006 im Robinson-Club auf Mallorca, war durchaus eine Herausforderung. Da merkte ich, dass Leander es gewohnt war, mich für sich alleine zu haben. Er nörgelte herum, wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht ganz bei ihm war. Wobei ich auch sagen muss, dass er mit seinen damals knapp drei Jahren und aufgrund der Umstände die ganze Situation zunächst gar nicht recht einordnen konnte. In Hannover kam Christian zumeist erst spätabends, zwischen 22 Uhr und 24 Uhr nach Hause, und da lag Leander schon im Bett. Und morgens, bevor Leander in die Kita ging, hatte Christian häufig längst im Anzug und mit seinem Aktenkoffer in der Hand die Wohnung verlassen und war auf dem Weg zum ersten Termin. Teilweise haben sich die beiden so eine ganze Woche kaum gesehen und ich weiß noch, wie verdutzt Leander war, als er Christian dann einmal doch zufälligerweise morgens im Bad vor dem Spiegel die Zähne putzen sah. »Wohnst du jetzt auch hier?«, fragte mein Sohn und Christian – ebenfalls etwas verdutzt – antwortete nur: »Genau, wir wohnen jetzt hier zusammen.«
Mein Sohn war wie erwähnt knapp drei, als Christian und ich uns kennenlernten. Christian wusste, dass es mich nur im Doppelpack mit Leander gibt. Es war einfach Fakt und zwischen uns auch nie ein Problemthema. Im Gegenteil, wir waren uns beide sehr schnell einig, dass wir uns gut noch ein gemeinsames Kind vorstellen konnten. Denn beide fanden wir den Gedanken sehr schade, ein Kind als Einzelkind großzuziehen. Als ich daher im Sommer 2007 schwanger wurde, freuten wir uns, und als Christian im Februar 2008 geschieden war, heirateten wir nur wenige Wochen später, Mitte März.
Die Hochzeitspläne hielten wir bewusst sehr lange geheim. Auch unsere Freunde erfuhren erst gut zehn Tage vor der Trauung den Ort, wo sie hinkommen sollten: das Schlosshotel Münchhausen. Es liegt etwas abgelegen zwischen Hameln und Bad Pyrmont. Es ist eine wunderschöne Anlage und von Bekannten wusste ich, dass es auf dem Areal auch einen kleinen Pavillon gibt, wo standesamtliche Hochzeiten durchgeführt werden können. Die Geheimhaltung war wirklich ein Kraftakt, doch
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