Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
warten lassen. Komm, Jim!«
Die Palastwache nahm die beiden Freunde in die Mitte. Sie stiegen die neunundneunzig Silberstufen hinauf und schritten durch das Tor in den Palast hinein. Hinter ihnen schlössen sich die schweren Ebenholzflügel.
Sie befanden sich jetzt in einem hohen Gang, der ungeheuer prächtig geschmückt war. Dicke, gewundene Säulen aus grünem Jadestein trugen eine Decke aus schimmerndem Perlmutter. Überall hingen Vorhänge aus rotem Samt und kostbarer geblümter Seide. Links und rechts zweigten Seitengänge ab.
Dort sahen Jim und Lukas viele Türen, alle fünf Meter eine. Es waren unzählige Türen, denn jeder Seitengang hatte wieder Seitengänge, und alle waren so lang, daß es schien, als nähmen sie überhaupt kein Ende.
»Dies, ehrenwerte Fremdlinge«, erklärte der Hauptmann gedämpft, »ist das kaiserliche Amt. Wenn Sie geruhen wollen, mir zu folgen, dann werde ich Sie zu dem erlauchten Herrn Oberbonzen Pi Pa Po bringen.«
»Eigentlich«, brummte Lukas, »wollen wir lieber zum Kaiser und nicht zu Herrn Pi Pa Po.«
»Der erlauchte Herr Oberbonze wird Sie gewiß zum erhabenen Kaiser geleiten«, erwiderte der Hauptmann und verzog sein Gesicht zu einem höflichen Grinsen. Sie marschierten also eine ganze Weile kreuz und quer durch die vielen Gänge, bis sie endlich vor einer Tür stehenblieben.
»Hier ist es«, raunte der Hauptmann ehrfürchtig.
Lukas klopfte unbekümmert an und trat mit Jim ein. Die Soldaten blieben draußen im Gang stehen. In dem Zimmer saßen drei sehr dicke Bonzen auf erhöhten Stühlen. Der Bonze in der Mitte hatte einen besonders hohen Stuhl und trug ein goldenes Gewand. Das war Herr Pi Pa Po. Alle drei hielten seidene Fächer in den Händen, mit denen sie sich Luft zufächelten. Vor jedem Bonzen hockte auf dem Boden ein Schreiber mit Tusche, Pinsel und Papier, denn in Mandala schreibt man mit dem Pinsel.
»Guten Morgen, meine Herren!« sagte Lukas freundlich und tippte mit dem Finger an seine Mütze. »Sind Sie Herr Pi Pa Po, der Oberbonze? Wir möchten nämlich gern zum Kaiser.« »Guten Morgen!« erwiderte der Oberbonze lächelnd. »Zum Kaiser werden Sie wohl erst später kommen.«
»Vielleicht«, fügte der zweite Bonze hinzu und schielte zum Oberbonzen hinauf.
»Es ist nicht ganz ausgeschlossen«, ließ sich der dritte Bonze vernehmen. Und alle drei nickten einander zu, und die Schreiber kicherten beifällig, beugten sich über ihre Papiere und schrieben die geistreichen Worte der Bonzen auf, um sie der Nachwelt zu erhalten.
»Erlauben Sie zunächst gütigst einige Fragen,« sagte der Oberbonze. »Wer sind Sie beide?«
»Und woher kommen Sie eigentlich?« wollte der zweite Bonze wissen.
»Und was wollen Sie hier?« erkundigte sich der dritte.
»Ich bin Lukas der Lokomotivführer, und das hier ist mein Freund Jim Knopf«, sagte Lukas. »Wir kommen aus Lummerland und wollen zum Kaiser von Mandala, um ihm mitzuteilen, daß wir seine Tochter aus der Drachenstadt befreien werden.«
»Sehr lobenswert!« meinte der Oberbonze lächelnd. »Aber das kann jeder sagen.«
»Haben Sie Beweise?« fragte der zweite Bonze. »Oder eine Erlaubnis?« setzte der dritte hinzu. Und wieder kicherten die Schreiber beifällig und schrieben alles für die Nachwelt auf, und die Bonzen fächelten sich und nickten einander lächelnd zu.
»Hören Sie mal, meine Herren Bonzen!« sagte Lukas, schob seine Mütze ins Genick und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Was wollen Sie eigentlich? Sie sollten sich lieber nicht so aufblasen. Ich glaube nämlich, der Kaiser wird ziemlich ärgerlich sein, wenn er hört, wie Sie sich hier wichtig machen.«
»Das«, entgegnete der Oberbonze lächelnd, »wird er wahrscheinlich niemals erfahren.«
»Ohne uns«, erklärte der zweite Bonze selbstgefällig, »können die ehrenwerten Fremdlinge überhaupt nicht zum Kaiser gelangen.«
»Und wir lassen Sie erst zu ihm, wenn wir alles genau geprüft haben«, vollendete der dritte. Und wieder nickten die Bonzen sich lächelnd zu, und die Schreiber schrieben es auf und kicherten beifällig.
»Also gut!« sagte Lukas seufzend. »Aber beeilen Sie sich bitte etwas mit dem Prüfen. Wir haben nämlich noch nicht gefrühstückt.«
»Sagen Sie, Herr Lukas«, begann der Oberbonze, »haben Sie einen Ausweis?«
»Nein«, antwortete Lukas.
Die Bonzen zogen die Augenbrauen hoch und blickten einander bedeutungsvoll an.
»Ohne Ausweis«, sagte der zweite Bonze, »haben Sie ja nicht einmal einen Beweis, daß Sie
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