Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
ringend. Und dann kam eine Hand hervor. Lukas ergriff sie und zog seinen Freund heraus. Er nahm ihn auf den Arm und kletterte mit ihm von der Lokomotive herunter.
»Jim!« sagte er immer wieder, »mein alter Jim!«
Der Junge keuchte. Er lächelte benommen und spuckte etwas Wasser. Schließlich flüsterte er:
»Siehst du jetzt, Lukas, wie gut es war, daß du mich mitgenommen hast?«
»Jim Knopf!« sagte Lukas, »du bist ein großartiger kleiner Bursche, und ohne dich wäre ich jetzt verloren gewesen.«
»Was glaubst du, wie mir zumut war!« seufzte Jim. »Erst is’ ja alles ganz gut gegangen. Die Schraube hab’ ich gleich gefunden, und sie is’ auch ganz leicht aufgegangen. Aber wie ich dann zurückgewollt hab’, da hab’ ich auf einmal das Loch nich t mehr gefunden. Aber zuletzt hab’ ich’s dann doch geschafft.«
Lukas zog Jim die nassen Sachen aus und wickelte ihn in eine warme Decke. Dann gab er ihm heißen Tee aus der Thermosflasche des Kaisers zu trinken.
»So!« sagte er danach, »und jetzt ruhst du dich aus! Das andere mach’ ich schon allein.«
Plötzlich schlug er sich mit der Hand vor die Stirn und rief erschrocken:
»Verflixt und zugenäht! Durch das Schraubenloch tropft die ganze Zeit das Wasser aus dem Kessel!«
Es stimmte. Aber zum Glück war erst ganz wenig Wasser ausgelaufen, schätzungsweise ein halber Liter.
Lukas wechselte schnell den zerbrochenen Taktierkolben aus und schraubte alles wieder fest zu. Hineindrehen ließ sich die Schraube von außen nämlich ganz gut. Und dann setzte er di e gute alte Emma Teil für Teil sorgfältig wieder zusammen. Und als er die letzte Schraube festzog …
»Na, Jim?« rief er. »Was sagst du jetzt?«
»Was soll ich denn sagen?« erkundigte sich Jim.
»Na, hör doch mal!« rief Lukas fröhlich.
Jim lauschte. Tatsächlich: Emma schnaufte wieder! Zwar nur ganz leise, kaum hörbar, aber es war nicht zu leugnen, sie schnaufte!
»Lukas!« schrie Jim glücklich, »Emma is’ wieder ganz! Wir sind gerettet!«
Und die beiden Freunde schüttelten sich lachend die Hände. Die Geier machten ziemlich enttäuschte Gesichter. Aber sie schienen die Hoffnung noch nicht ganz aufzugeben. Sie zogen sich nur etwas weiter in die Wüste zurück.
»So!« erklärte Lukas befriedigt. »Jetzt soll Emma sich erst ma l ausschlafen, damit sie wieder zu Kräften kommt. Und wir tun das gleiche, denk’ ich.«
Sie stiegen in das Führerhaus und machten die Tür gut hinter sich zu. Dann aßen sie ein paar Früchte und Süßigkeiten aus dem Proviantkorb und tranken etwas Tee aus der goldenen Thermosflasche. Und danach rauchte Lukas noch eine Pfeife.
Aber da war Jim schon eingeschlafen. Mit einem stolzen Lächeln lag er da, so stolz wie nur einer sein kann, der eine kaputte Lokomotive unter Einsatz seines Lebens wieder ganz gemacht hat.
Lukas deckte ihn gut zu und strich ihm die schwarzen, noch feuchten Kraushaare aus der Stirn.
»Großer, kleiner Jim!« murmelte er liebevoll. Dann klopfte er seine Pfeife aus und schaute noch einmal zum Fenster hinaus.
Die Geier saßen in einiger Entfernung im Kreis beieinander, grell vom Mondlicht beleuchtet. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und schienen sich zu beraten.
»Na, meinetwegen!« brummte Lukas. »Uns kriegt ihr doch nicht.«
Dann legte er sich zurecht, seufzte tief, gähnte und schlief ein.
Fünfzehntes Kapitel
in dem die Reisenden in eine sonderbare Traumgegend geraten und eine verhängnisvolle Spur entdecken
Am nächsten Morgen erwachten Jim und Lukas ziemlich spät. Das war zu begreifen, da sie ja erst lange nach Mitternacht schlafen gegangen waren. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und glühende Hitze verbreitete sich. In einer Wüste, wo kein Baum und kein Strauch Schatten bieten, wird die Luft in kurzer Zeit so erstickend heiß wie in einem Backofen. Die beiden Freunde beeilten sich mit dem Frühstück und brachen bald auf. Sie dampften fröhlich los, immer nach Norden. Da sie keinen Kompaß besaßen, war ihr einziger Anhaltspunkt das Gebirge »Die Krone der Welt«. Sie hatten beschlossen, so zu fahren, daß die Berge stets rechts zu sehen waren. Irgendwo im Norden mußten sie dann nach ihrer Berechnung wieder auf den Gelben Fluß stoßen, dem sie stromaufwärts folgen würden bis zur Drachenstadt. Die Landkarte nützte ihnen jetzt nichts mehr, aber so ging es ja zunächst ganz gut.
Emma war wieder wohlauf. Wie es schien, hatte sie sich von der schweren Reparatur völlig erholt. Sie war eben trotz
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