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Die Wahrheit über Alice

Die Wahrheit über Alice

Titel: Die Wahrheit über Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca James
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    I ch war nicht auf Alice’ Beerdigung. Ich war damals schwanger. Wahnsinnig und rasend vor Trauer. Aber ich trauerte nicht um
     Alice. Nein. Da hasste ich Alice schon und war froh, dass sie tot war. Denn Alice hatte mir das angetan, Alice hatte mein
     Leben zerstört, mir das Beste genommen, was ich je hatte, und es in Millionen Scherben zerschlagen. Ich weinte nicht
um
Alice, sondern
wegen
Alice.
    Erst jetzt, vier Jahre später und eine Ewigkeit glücklicher, endlich angekommen in einem geborgenen und ruhigen Leben mit
     meiner Tochter Sarah (meiner süßen, ach so ernsten kleinen Sarah), wünsche ich manchmal, ich wäre doch zu Alice’ Beerdigung
     gegangen.
    Weil ich Alice nämlich überall sehe – im Supermarkt, am Eingang von Sarahs Kindergarten, in dem Club, wo Sarah und ich manchmal
     preiswert essen. Da sehe ich plötzlich aus den Augenwinkeln Alice’ glänzendes weizenblondes Haar, ihre Modelfigur, ihre auffälligen
     Klamotten, und ich bleibe mit pochendem Herzen stehen und starre. Es dauert nicht lange, dann fällt mir wieder ein, dass sie
     tot und begraben ist, dass sie es unmöglich sein kann, aber dennoch muss ich mich zwingen, näher ranzugehen und mich zu vergewissern,
     dass ihr Geist mich nicht verfolgt. Von nahem sehen diese Frauen Alice manchmal ähnlich, aber sie sind nie, niemals so schön
     wie sie. Oft haben sie, aus der Nähe betrachtet, nicht mal die geringste Ähnlichkeit mit ihr.
    |10| Dann wende ich mich ab und mache weiter mit dem, was ich zuvor getan habe, aber alle Wärme ist mir aus Gesicht und Lippen
     gewichen, und der Adrenalinstoß lässt meine Fingerspitzen unangenehm kribbeln. Mein Tag ist unweigerlich ruiniert.
    Ich hätte zu ihrer Beerdigung gehen sollen. Ich hätte nicht weinen oder Trauer heucheln müssen. Ich hätte verbittert lachen
     und in die Grube spucken können. Wen hätte das gekümmert? Wenn ich nur gesehen hätte, wie sie ihren Sarg hinabließen, wenn
     ich zugeschaut hätte, wie sie die Erde darauf warfen, dann wäre ich mir jetzt sicherer, dass sie wirklich tot und begraben
     ist.
    Und ich wüsste tief in meinem Inneren, dass Alice für immer fort ist.

|11| 1
    H ast du Lust zu kommen?» Alice Parrie lächelt zu mir herunter. Es ist Mittagspause, ich sitze unter einem Baum, allein, und
     lese ein Buch.
    «Hä?» Ich schirme die Augen ab und sehe hoch. «Wohin kommen?»
    Alice reicht mir ein Blatt Papier.
    Ich nehme es und werfe einen Blick darauf. Es ist die knallbunte Fotokopie einer Einladung zu Alice’ 18.   Geburtstag. Kommt alle!! Bringt eure Freunde mit!! steht da. Sekt gratis! Essen gratis! Nur jemand, der so beliebt und selbstbewusst
     ist wie Alice Parrie, kann eine derartige Einladung verteilen. Jeder Normalsterbliche würde wirken, als bettelte er um Gäste.
     Wieso ich?, frage ich mich. Ich kenne Alice, jeder kennt sie, aber ich habe bisher noch nie ein Wort mit ihr gewechselt. Sie
     ist etwas Besonderes – schön, beliebt, unübersehbar.
    Ich falte die Einladung in der Mitte und nicke. «Ich versuch’s. Klingt gut», lüge ich.
    Alice schaut mich ein paar Sekunden lang unverwandt an. Dann seufzt sie und lässt sich neben mir auf den Rasen plumpsen, so
     nah, dass eins ihrer Knie schwer gegen meines drückt.
    «Du kommst nicht.» Sie grinst.
    Ich spüre, wie meine Wangen rot werden. Obwohl mir mein ganzes Leben manchmal vorkommt wie eine Fassade, wie eine Mauer aus
     Geheimnissen, bin ich keine gute Lügnerin. Ich blicke nach unten auf meinen Schoß. «Wahrscheinlich nicht.»
    |12| «Aber du musst kommen, Katherine», sagt sie. «Das wär mir wirklich total wichtig.»
    Ich bin erstaunt, dass Alice überhaupt meinen Namen kennt, aber noch erstaunlicher – ja, geradezu unglaublich – ist, dass
     sie mich auf ihrer Party dabeihaben will. An der Drummond High School kennt mich praktisch keiner, und ich bin mit niemandem
     befreundet. Ich komme und gehe unauffällig, allein, und lerne vor mich hin. Ich versuche, möglichst keine Aufmerksamkeit auf
     mich zu ziehen. Ich komme ganz gut klar, aber meine Noten sind nicht berauschend. Ich bin in keiner Schulsportmannschaft,
     in keiner AG. Und obwohl ich weiß, dass ich nicht immer so weitermachen, nicht ewig ein Schattendasein führen kann, ist es
     vorläufig richtig so für mich. Ich verstecke mich, das weiß ich, ich verhalte mich feige, aber im Augenblick muss ich unscheinbar
     sein, langweilig. Damit keiner erfährt, wer ich wirklich bin oder was passiert ist.
    Ich klappe das Buch zu und

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