Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
kleine Fing Pong befand. Er hatte Mühe, in all der Aufregung nicht totgetrampelt zu werden, denn niemand achtete mehr auf ihn.
Lukas und Jim waren inzwischen in eine schlimme Lage geraten. Alle Möbel waren von den Säbeln der Palastwache in Stücke geschlagen. Nun standen die beiden Freunde den bewaffneten Soldaten wehrlos gegenüber. Dreißig Schwertspitzen richteten sich auf sie.
»Legt sie in Ketten!« schrie der Oberbonze, der inzwischen wieder auf die Beine gekommen war, aber vergeblich versuchte, den Papierkorb von seinem Kopf zu streifen. Die anderen Bonzen und die Schreiber kreischten: »Ja, ja, ja, legt sie in Ketten! Es sind gefährliche Spione!«
Lukas und Jim wurden an Händen und Füßen mit schweren Ketten gefesselt, und dann wurden sie Herrn Pi Pa Po und den beiden anderen Bonzen vorgeführt.
»Nun?« fragte der Oberbonze und lächelte wütend durch die Gitterstäbe des Papierkorbes. »Wie fühlt IHR euch jetzt? Wir werden euch wohl am besten sogleich eure ehrenwerten Häupter abschneiden.«
Lukas antwortete nicht. Er nahm seine ganze Kraft zusammen und versuchte, die Ketten zu zerreißen. Aber sie waren aus mandalanischem Stahl und dick genug, einen Elefanten zu fesseln. Die Bonzen nickten einander lächelnd zu, und die Schreiber kicherten über Lukas’ Bemühungen.
»Jim, alter Junge«, sagte Lukas schließlich zu seinem kleinen Freund langsam und mit rauher Stimme, ohne sich um die Schreiber und Bonzen zu kümmern, »das war eine kurze Reise. Tut mir leid, daß du nun mein Schicksal teilen mußt.« Jim schluckte.
»Wir sind doch Freunde«, antwortete er leise und biß sich auf die Unterlippe, damit sie nicht so zittern sollte. Die Schreiber kicherten wieder, und die Bonzen nickten einander grinsend zu.
»Jim Knopf«, sagte Lukas, »du bist wirklich der feinste kleine Kerl, den ich in meinem Leben gesehen habe!«
»Führt sie zum Richtplatz!« befahl der Oberbonze, und die Soldaten ergriffen Lukas und Jim, um sie fortzuschleppen.
»Halt!« rief da plötzlich eine Stimme, nicht laut, aber mit einem Klang, daß jeder sie vernahm. Alle wandten sich um.
Da stand der Kaiser von Mandala in der Tür und hinter ihm alle Würdenträger des Reiches.
»Nieder mit dem Schwert!« gebot der Kaiser.
Der Hauptmann wurde bleich vor Schreck und ließ das Schwert sinken. Die Soldaten taten ebenso.
»Nehmt den Fremdlingen die Fesseln ab!« befahl der Kaiser.
»Und legt dafür sogleich Herrn Pi Pa Po und die anderen in Ketten!«
So geschah es.
Als Lukas frei war, zündete er sich als erstes die Pfeife wieder an, die ihm ausgegangen war, und dann sagte er: »Komm, Jim!«
Die beiden Freunde gingen auf den Kaiser von Mandala zu. Lukas nahm seine Mütze ab und seine Pfeife aus dem Mund und sagte: »Guten Tag, Majestät! Es freut mich, Sie endlich selbst kennenzulernen.«
Und dann schüttelten sich alle drei die Hände.
Hier konnte nur noch einer helfen: Der erhabene Kaiser selbst!
Elftes Kapitel
in dem Jim Knopf auf unerwartete Weise sein Geheimnis erfährt
Mit dem Zug der Würdenträger hinter sich, gingen der Kaiser, Lukas und Jim durch die Gänge des Palastes langsam zum Thronsaal zurück.
»Da sind Sie aber gerade noch zur rechten Zeit gekommen, Majestät!« sagte Lukas zum Kaiser, während sie die breite Marmortreppe emporstiegen. »Das hätte böse enden können. Woher wußten Sie eigentlich von uns?«
»Durch einen winzigen Burschen, der plötzlich hereingestürzt kam«, antwortete der Kaiser. »Ich weiß nicht, wer es war, aber er schien ein sehr entschlossener und kluger kleiner Kerl zu sein.«
»Fing Pong!« riefen Lukas und Jim wie aus einem Mund. »Er is’ ein Kindeskind des Oberhofkochs, der so einen umständlichen Namen hat«, fügte Jim hinzu.
»Herr Schu Fu Lu Pi Plu?« fragte der Kaiser lächelnd.
»Ja richtig!« sagte Jim. »Aber wo steckt denn Fing Pong?« Niemand wußte es, und alle begannen zu suchen. Endlich fand man das winzige Kerlchen. Es hatte sich in das Ende eines Seidenvorhanges gewickelt und schlief. Für einen Säugling in seinem Alter war die Rettungstat eine ganz ungewöhnliche Anstrengung gewesen. Und als er gesehen hatte, daß die beiden sich in Sicherheit befanden, da war er sofort beruhigt in tiefen Schlaf gesunken.
Der Kaiser selbst bückte sich zu ihm nieder, hob ihn auf un d trug ihn vorsichtig hinauf in seine Gemächer. Dort legte er ihn in sein eigenes kaiserliches Himmelbett. Gerührt betrachteten Lukas und Jim ihren winzigen Lebensretter, dessen
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