Unverhofft kommt oft
1. Kapitel
Sofia lag noch im Bett, es war früh am Morgen: 11:43 Uhr. Das blöde Telefon klingelte in einer Tour, und dabei hatte sie doch ausschlafen wollen. Seit sie mit dem College fertig war, genoss sie das Leben. Kein Lernen mehr, in den Tag hinein leben, bis mittags schlafen, die halbe Nacht lang alte Serien gucken und zwischendurch mal ein Bild malen. Ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen war beinahe unmöglich, und sie wusste, dass sie das nicht für immer machen konnte, aber gerade jetzt war es einfach himmlisch, einfach nur drauflos zu flattern wie ein Schmetterling.
„Sofia, hörst du das verdammte Telefon denn nicht klingeln?“, rief Jenni, ihre Mitbewohnerin, aus der Küche oder von sonst wo.
Widerwillig griff sie zum Handy, das auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag, der eigentlich eine alte Bierkiste war. Seufzend ging sie ran: „Wenn du nicht einen guten Grund hast, mich zu stören, dann …“
„Sofia! Endlich!“ Es war ihre Mutter.
„Mamma! Was ist? Hast du mal wieder ein Date für mich arrangiert oder soll ich nur wieder mal deinen Kopf nach grauen Haaren absuchen?“ Sie grinste, während sie sprach.
Ihr Mutter war eine Klasse für sich. Sie lebte bereits seit fünfundzwanzig Jahren in Amerika und vermisste Italien noch immer. Sie weigerte sich vehement, die amerikanische Sprache zu lernen und versteckte sich in der Familienbäckerei in der Backstube, wo sie mit niemandem sprechen musste. Am liebsten wäre Carla auf der Stelle zurückgegangen, doch ihr Mann fühlte sich mehr als wohl im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
In den letzten Jahren hatte Francesco aus einer anfangs kleinen Bäckerei eine der beliebtesten Adressen San Franciscos gemacht, was Torten und Gebäck anging. Er kreierte immer wieder neue Leckereien – nichts zu Ausgefallenes, dafür aber umso köstlicher. Francesco`s war in der ganzen Stadt und darüber hinaus bekannt und inzwischen so erfolgreich, dass die ganze Familie anpacken musste: Vater Francesco, Mutter Carla, Schwester Alessia, Schwager Tom, Onkel Guido und Cousine Roberta. Nur Sofia hatte man bisher nicht überzeugen können, ins Geschäft mit einzusteigen, und wenn es nach ihr ginge, würde das auch weiterhin ein Wunschtraum ihrer Eltern bleiben. Wozu hatte sie vier Jahre lang Kunst studiert, nur um jetzt Kuchenteig anzurühren wie ihre Mamma oder sich mit ungeduldigen Kunden herumzuplagen wie ihr Papà. Nein, sie nahm die Dinge locker, malte, wann ihr danach war und legte sich ins Zeug, ein paar ihrer Kunstwerke zu verkaufen, wenn die Miete oder die Telefonrechnung fällig war. Ihr war bewusst, dass Jenni es nicht immer leicht mit ihr hatte, aber aus einer Annonce nach einer Mitbewohnerin, die Jenni vor zwei Jahren aufgesetzt hatte, war eine wundervolle Freundschaft geworden. Klar, sie hatte ihre Macken, aber die hatte Sofia auch, und nicht wenige.
„Sofia, hör mir gut zu! Dein Vater hatte einen Herzinfarkt!“
♥
Sofia Bacciola hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie nur einen Tag später in der Bäckerei ihrer Eltern im Geschäftsviertel San Franciscos stehen und Muffins verkaufen würde, und das auch noch in einer unvorteilhaft sitzenden braunen Uniform. Sie kam sich vor wie eine Pfadfinderin.
„Sie haben mir einen Erdbeer-Muffin eingepackt“, beschwerte sich gerade eine Dame. „Ich wollte aber einen Erdbeer-Cupcake haben.“
„Wo ist denn da der Unterschied?“, fragte Sofia sichtlich genervt.
„Wo ist Francesco? Bei ihm ist mir so etwas noch nie passiert!“
„Tut mir ja leid, mein Vater erholt sich gerade von einem Herzinfarkt. Wenn Sie aber darauf bestehen, rufe ich ihn gerne für Sie an und er erklärt mir den Unterschied.“
Die Frau rümpfte die Nase und stemmte die Hände in die Hüften, während Sofia den Muffin gegen einen Cupcake austauschte. „Beehren Sie uns bald wieder.“
Die Erdbeer-Cupcake-Tante verschwand mit einem letzten bösen Blick auf Sofia zur Tür heraus.
Sobald sie draußen war, prustete Sofia los: „Manche Leute … also, echt!“
„Sofia, könntest du dich ein bisschen mehr ins Zeug legen, bitte? Was würde Onkel Francesco dazu sagen? Er hat immerhin einen Ruf zu verlieren“, tadelte sie Cousine Roberta. Sie war ein Jahr jünger als sie und hatte gleich nach der High School angefangen, im Laden hinter der Theke zu arbeiten. Als kleine Mädchen hatten sie immer zusammen gespielt und sich das ein oder andere Mal etwas aus der Auslage stibitzt.
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