Olivetti ermittelt
|5| Anruf für Kommissar Schrödinger
Nebel waberte durch die nächtlichen Straßen, unheimlich hallte der Schrei eines Käuzchens wider. Plötzlich Schritte. Leise, verstohlene Schritte. Der Kommissar blieb stehen und lauschte. Nichts. Hatte er sich getäuscht? War da nicht jemand hinter ihm her? Er ging weiter und zog vorsichtig seinen Haustürschlüssel und gleichzeitig auch die Pistole aus der Jackentasche.
»So ein Edelkäse!« Schrödinger schmiss das Buch in die Ecke. »Diese blöden Krimis mit ihrem Nebel, ihren Verfolgern und Pistolen. Ewig dasselbe!«
Schrödinger war spät nach Hause gekommen, hatte geduscht und sich dann aufs Sofa geworfen. Der Arbeitstag war heiß, lang und ereignislos gewesen.
Als er noch jünger war, da dachte er immer: wow, Kriminalpolizei. Da ist es nie langweilig. Da jagst du Gauner, ballerst mit der Pistole in der Gegend rum und schnappst dann einen Ganoven nach dem anderen.
Damals hatte er auf einen tollen Job als Kommissar |6| in der Großstadt gehofft. Berlin, Hamburg, Frankfurt, München – davon hatte er geträumt.
Heimlich hatte er sich immer ausgemalt, wie er eines Tages eine weltweit arbeitende Bande von Geldfälschern, Drogenhändlern oder Bankräubern auffliegen lassen würde. Ach, nicht nur das, die gesamte Mafia Italiens wollte er festnehmen.
Alles hatte damit angefangen, dass er eines Tages nach der Schule mit seinen Freunden herumstand, als plötzlich ein Mann angerast kam, der von zwei Polizisten verfolgt wurde. Direkt vor Schrödingers Füßen stolperte er über dessen Schultasche und konnte von den Polizisten festgenommen werden. Die bedankten sich sehr bei Schrödinger für seine Hilfe. Sie luden ihn sogar aufs Kommissariat ein und zeigten ihm alles: die Autos, die Waffen, die Zellen. Schrödinger hütete sich damals zu sagen, dass er eigentlich gar nichts getan hatte, sondern der Mann ja selber über die Tasche gestolpert war. Trotzdem hatte er seitdem von künftigen großen Taten geträumt: Er würde als Polizist, als Kriminalkommissar die ganz großen Verbrechen aufdecken.
Ja, Pustekuchen! Jetzt war er in Baden-Baden gelandet und musste nur so etwas machen wie zum Beispiel einen Bericht über die Gefangennahme eines Fahrraddiebes |7| schreiben. Oder er sah ein paar Akten von ähnlich langweiligen Kollegen-Fällen durch. Die spannendste Jagd, die er heute veranstaltet hatte, war die nach einer Wespe gewesen, die aus Versehen in sein Büro geflogen war.
Schrödinger lag auf dem Sofa und schaute auf das Aquarium am Fenster. Das müsste ich auch mal wieder putzen, dachte er. Ist zwar egal, weil ja doch kein Fisch drin ist, sieht aber schöner aus.
Seit der letzte Trauermantelsalmler eingegangen war, stand das Aquarium leer rum. Eigentlich war Schrödinger kein großer Aquarienfreund. Aber er hatte das hier als »Abschiedsgeschenk« von Thorsten Hartbeil erhalten.
Viele Kommissare hatten damals versucht, diesen Gauner zu erwischen. Aber nur Schrödinger war es gelungen. Deswegen galt er seitdem bei der Kripo als das Ass.
Hartbeil war als Spieler bekannt gewesen. Er spielte an Automaten, in Klubs und Spielkasinos. Am liebsten Karten. Zuletzt hatte er zwei dieser Kasinos ausgeraubt, weil er der Meinung war, dass sie ihn dort nie hatten gewinnen lassen. Schrödinger fasste ihn schließlich nach einer dramatischen Verfolgungsjagd: Hartbeil hatte sich in ein Hotel geflüchtet, wo Schrödinger ihn |8| stellte. Aber Hartbeil entwischte noch einmal, indem er sich vom Balkon des Hotels im zweiten Stock direkt in den Swimmingpool schmiss. Schrödinger hinterher. Dabei stießen die beiden im Wasser zusammen und Hartbeil musste mit einem Beinbruch ins Krankenhaus gebracht werden.
»Und wer kümmert sich um meine Fische Ariane, Sara und Sabine?«, hatte Hartbeil den Kommissar beim Verhör im Krankenhaus gefragt.
»Keine Ahnung!«, hatte Schrödinger geantwortet.
Hartbeil verlegte sich aufs Bitten: »Könnten Sie nicht einspringen? Bitte!«
Na, und am Ende packte Schrödinger das Aquarium mitsamt den Zutaten und stellte es in seinem Wohnzimmer auf. Auf Bitten Hartbeils schickte er ihm jeden Monat eine Nachricht, dass es den Fischen gut ging. Auch nachdem die drei längst tot im Wasser geschwommen waren, hatte er Hartbeil weiterhin regelmäßig das Gleiche geschrieben: »Fische okay, alles bestens!«
Als Hartbeil rauskam und spitzkriegte, dass Schrödinger ihm lauter verlogene Briefe geschickt hatte, war er stocksauer. Er schrieb an Schrödinger, dass er sich
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