Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
… ich wollte, wir fänden bald hier heraus.«
Vor ihnen hüpfte jetzt ein halbes Riesenrad von einem Jahrmarkt in großen Sprüngen durch die Wüste, als ob es seine andere Hälfte suchte. Die war aber nirgends zu sehen.
»Mir wäre es auch lieber«, gab Lukas zu und kratzte sich hinter dem Ohr. »Na, irgendwann werden wir diese kuriose Traumgegend ja mal wieder verlassen. Nach meiner Schätzung haben wir seit heute Mittag gute hundert Meilen zurückgelegt. -Wirklich zu dumm, daß wir vergessen haben, einen Kompaß mitzunehmen.«
Eine Weile fuhren die Freunde schweigend weiter und beobachteten die auftauchenden und wieder verschwindenden Er - scheinungen. Eben, als Lukas Jim darauf aufmerksam machen wollte, daß die Sonne jetzt sogar an drei Stellen zugleich zu sehen sei, stieß der Junge plötzlich einen Freudenschrei aus. »Lukas!« rief er. »Da, schau doch! Wie is’ denn das möglich? Da is’ - da is’ ja Lummerland!«
Tatsächlich! Da lag ganz deutlich Lummerland, umgeben vom blauen Meer. Der große und der kleine Gipfel ragten empor, und dazwischen war das Schloß von König Alfons dem Viertel-vor-Zwölften zu erkennen. Das kurvenreiche Eisenbahngleis glänzte, und die fünf Tunnels waren da und auch das Haus von Herrn Ärmel. Da stand die kleine Bahnstation und da das Haus von Frau Waas mit dem Kaufladen! Und im Meer lag das Postschiff.
»Schnell!« schrie Jim ganz außer sich, »schnell, Lukas! Laß uns hinfahren!«
Aber Emma hatte schon von sich aus Kurs auf Lummerland genommen. Offenbar hatte sie die Heimatinsel auch entdeckt. Sie kamen immer näher. Und nun sahen sie, daß der König zum Fenster herausschaute. Und vor dem Schloß stand Frau Waas mit einem Brief in der Hand, und der Briefträger war dabei und auch Herr Ärmel. Alle vier schienen sehr betrübt zu sein. Frau Waas wischte sich immerfort mit ihrer Schürze die Augen.
»Frau Waas!« schrie Jim, öffnete das Fenster und beugte sich trotz der glühenden Hitze, die ihm entgegenschlug, so weit er konnte hinaus. »Frau Waas, ich bin hier! Siehst du mich, Frau Waas? Ich bin’s, Jim Knopf! Bleibt da, wir kommen!«
Er winkte und schrie so aufgeregt, daß er beinahe aus dem Fenster hinausgefallen wäre. Lukas konnte ihn gerade noch an dem großen Knopf an seiner Hose festhalten.
Als Emma kaum noch zehn Meter von Lummerland entfern t war, verschwand plötzlich alles ebenso rätselhaft wie die anderen Erscheinungen. Und wieder dehnte sich ringsumher nur die Unendlichkeit der sonnendurchglühten Wüste. Jim wollte es zuerst gar nicht glauben. Aber es half alles nichts, Lummerland war nicht mehr da. Zwei dicke Tränen rannen über seine schwarzen Wangen. Er konnte es nicht verhindern.
Auch in Lukas’ Augen blinkte es verdächtig, und er stieß dichte Rauchwolken aus.
Schweigend fuhren sie weiter. Doch das Allererstaunlichste stand ihnen noch bevor.
Plötzlich erblickten sie nämlich eine andere Lokomotive, die ganz genauso aussah wie ihre Emma. Und diese Lokomotive fuhr in etwa hundert Meter Abstand neben ihnen her. Sie hatte auch genau die gleiche Geschwindigkeit.
Lukas, der seinen Augen nicht trauen wollte, beugte sich aus dem Fenster hinaus, und auch drüben, auf der anderen Maschine, beugte sich der Lokomotivführer aus dem Fenster. Lukas winkte, und der andere Lokomotivführer winkte zurück.
»Jetzt wird’s mir aber wirklich zu toll!« sagte Lukas. »Wir träumen doch nicht etwa?«
»Kein bißchen«, versicherte Jim.
»Na, da wollen wir uns die Sache doch mal näher ansehen«, meinte Lukas.
Sie bogen ein und hielten auf die andere Lokomotive zu. Aber zugleich bog auch die andere Lokomotive ein, und beide Lokomotiven fuhren aufeinander los.
Schließlich hielt Lukas die Emma an. Die andere Lokomotive stand ebenfalls. Lukas und Jim stiegen aus. Zur gleichen Zeit verließen ein Lokomotivführer und ein kleiner schwarzer Junge die andere Lokomotive.
»Da soll doch gleich… !« murmelte Lukas verblüfft.
Und nun gingen sie aufeinander zu, Lukas auf den anderen Lukas und Jim auf den anderen Jim. Die beiden Lukasse und die beiden Jims wollten sich eben zur Begrüßung die Hände geben, da strich ein ganz, ganz leichter Wind vorüber. Der andere Jim, der andere Lukas und die andere Emma wurden durchsichtig und verschwanden… lösten sich einfach auf in nichts.
Jim starrte fassungslos und mit kugelrunden Augen auf die Stelle, wo eben noch der andere Jim’gestanden hatte. Plötzlich hörte er Lukas einen Pfiff ausstoßen und
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