Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
Nadja, mit der Witt nach wie vor
liiert ist, steuert mit «Die Macht» wieder einen Text bei. Dass die Trennung
kurz bevor steht, ahnt Joachim noch nicht. Auch nicht, dass ihm sein Freund
Harry Gutowski, der mit «Hundert Leiber» abermals einen musikalischen Beitrag
abliefert, Jahre später die Ausgangsidee für sein Comebackalbum liefern wird.
Als ob der finanzielle Einbruch mit «Pop» noch nicht genug gewesen wäre: «Bayreuth
3» stellt das Minus noch in den Schatten. Zwar kann Witt wieder stolze 30000
Platten verkaufen, allerdings hatten Erstellung und Vermarktung des dritten
Teils der Werkreihe deutlich mehr Geld verschlungen als der eigenproduzierte
Vorgänger «Pop» - da nützt auch der für eine Indieproduktion respektable Platz
35 in den Albumcharts nichts. Witt hatte seine Hoffnungen, den Erfolg von
«Bayreuth eins» vielleicht auch ohne Industrie wiederholen zu können, vor allem
mit einem einzigen Song begründet: «Wem gehört das Sternenlicht?». Beim
Schreiben war in ihm dasselbe Hochgefühl aufgekommen wie bei «Goldener Reiter»
und «Die Flut», und Joachim macht die schlechte Vermarktung von Album und
Single dafür verantwortlich, dass «Bayreuth 3» und «Sternenlicht» einfach
verpuffen.
Doch es ist mehr als nur das mäßige Marketing, das für den Misserfolg der
Platte sorgt: Joachim erlebt den Alptraum der Achtziger Jahre aufs Neue.
Diesmal spricht die Presse nicht von NDW, sondern NDH, der Neuen Deutschen
Härte. Und ob Witt will oder nicht, er war mit «Bayreuth eins» und den
folgenden Veröffentlichungen genau in dieser Schublade gelandet, und dass nur,
weil er einige seiner neuen Songs mit harten Gitarrenriffs untermalt hatte, die
an Rammstein oder Oomph! erinnern. Aber die große Zeit der NDH ist Mitte der
2000er Jahre nach der Hitsingle «Augen auf!» von Oomph! vorbei; die meisten
neuen Produktionen - bis auf wenige Ausnahmen - werden in der
Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Wieder kommt ein Stil aus der
Mode, und wieder war Joachim zu einem Teil von ihr gemacht worden.
Für Joachim geht mit «Bayreuth 3» nicht nur der dritte Akt seiner
musikalischen Laufbahn zu Ende. Auch seine langjährige Beziehung zu Nadja
bekommt
Risse, aus tiefer Liebe war im Laufe der Jahre eine tiefe Freundschaft
geworden. Die Trennung ist unvermeidlich, aber die gegenseitige Zuneigung
bleibt. Diesmal ist es kein Ende mit Schrecken wie in der Zeit vor dem 98er
Comeback.
Dazu kommt, dass sich Witt bei einem seiner Konzerte 2006 wieder verliebt: In
eine junge Frau namens Juliane, die Joachim in den kommenden Jahren wieder
jenen Grad
an Halt und Harmonie geben wird, den er braucht.
Witt will das Kapitel «Bayreuth» ein für alle Mal abschließen, und entschließt
sich, zusammen mit den Musikern von Silly einige seiner Hits der vergangenen
Jahre neu einzuspielen und daraus einen Sampler zu machen. Für «Auf ewig -
Meisterwerke» unterzieht Joachim auch den «Goldenen Reiter» einer
Frischzellenkur, um den zahlreichen Remixen seit den frühen Neunzigern etwas
entgegenzusetzen. 2008 erscheint die Neufassung als Single, kann die Top 100
aber nicht erreichen. Die Compilation «Auf ewig», wieder erschienen auf
Primadonna, kann sich wie die beiden vorherigen Platten nur wenige Wochen im Mittelfeld
der Albumcharts halten. Joachim Witt merkt, dass er seinen eigenen Sound ein
wenig überstrapaziert hat. Bis zum nächsten Album werden ganze vier Jahre ins
Land ziehen.
Epilog.
Die Parallelen zwischen Joachims Leben in den Jahren nach «Silberblick» und der
Dekade nach «Bayreuth eins» sind unübersehbar. War es in den Achtzigern
Carvoeiro, ist es jetzt London, wo Witt für zwei Jahre Ablenkung sucht. Im
Stadtteil Streatham sucht er sich eine Wohnung, in der er sich in Ruhe
überlegen will, was er in Zukunft für eine Art von Musik machen könnte - und
vor allem, ob er überhaupt weitermacht. Auf seinem Laptop sammelt Witt ein paar
Ideen, von denen er zunächst begeistert ist: Den Begriff Retro hat er im
Hinterkopf, viel alte Elektronik, die Gitarren wie damals. Aber bevor die Idee
reifen kann, kommen ihm seine Londoner Nachbarn zuvor: Allesamt Hobbymusiker,
die sämtliche Krautrockplatten im Schrank haben und es gar nicht glauben
können, dass jetzt in ihrer Nachbarschaft jemand wohnt, der entfernt etwas mit
Can zu tun hatte. Da Joachim mit den Mittdreißigern gut kann, mietet er
zusammen mit ihnen einen Übungsraum in East End und veranstaltet Jam Sessions.
Die Band spielt krude Klanggerüste aus
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