In der Bucht der Liebe
1. KAPITEL
„Muss ich heute in den Kindergarten?“
Taylor umarmte den kleinen dunkelhaarigen Jungen liebevoll, der ihr seine Ärmchen so fest um den Nacken legte, dass es ihr beinah das Herz zerriss. Egal, was kommt, ich werde ihn behüten und beschützen, schwor sie sich.
Mit seinen dreieinhalb Jahren hatte er vor gar nicht langer Zeit einen schweren Schicksalsschlag erlitten, der sein Leben völlig veränderte. Seine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Praktisch von dem Augenblick an, als meine Schwester Casey verkündet hat, sie sei schwanger, gehört Ben d’Alessandri zu meinem Leben, dachte Taylor wehmütig. Gemeinsam hatten sie das Kinderzimmer eingerichtet, die Spielsachen und die Babyausstattung ausgesucht, und Caseys Mann Leon hatte die Schwestern stillschweigend und schmunzelnd gewähren lassen.
Bei der Geburt hatte Taylor ihrer Schwester zusammen mit Leon Mut zugesprochen, und anschließend hatte sie zu Tränen gerührt beobachtet, wie glücklich die beiden über ihren neugeborenen Sohn waren.
Der tragische Tod der Eltern, den Taylor und Casey als Teenager hatten verkraften müssen, hatte sie zusammengeschweißt. Sie unterstützten sich gegenseitig in ihren Berufswünschen und freuten sich gemeinsam über die Erfolge, die sie erzielten. Casey hatte Jura studiert, und Taylor war eine erfolgreiche Autorin geworden. Ein Jahr vor Bens Geburt war ihr erster Thriller erschienen.
„Warum kann ich nicht mir dir zu Dante fahren?“, fragte der Junge weiter.
Allein bei der Erwähnung des Namens von Leons Bruder verkrampfte sich Taylor der Magen.
„Du kannst ihn später sehen“, erwiderte sie sanft und betrachtete sein ernstes Gesichtchen.
„Versprochen?“
„Ja“, bekräftigte sie.
„Heute noch?“
„Wahrscheinlich.“ Sie wollte nicht zu viel versprechen. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass er einen langen Flug hinter sich hat. Du weißt doch, er kommt aus Italien und muss gleich nach seiner Ankunft an einer wichtigen Besprechung teilnehmen.“
Ben nickte. „Mit dir, stimmt’s?“
„Ja.“
„Ihr redet über mich“, stellte er fest.
Sie war immer wieder von Neuem erstaunt darüber, wie viel der aufgeweckte Junge schon verstand und wie gut er die Zusammenhänge durchschaute. Außerdem konnte er sich für sein Alter außergewöhnlich gut ausdrücken. Ihn zu belügen wäre sinnlos.
„Klar. Du bist doch für uns der wichtigste Mensch auf der Welt. Für dich würde ich sogar mit Drachen kämpfen“, fügte sie scherzhaft hinzu.
„Und mit Löwen.“
Sie küsste ihn auf die Stirn. „Wenn es sein müsste, mit dem ganzen Königreich der Tiere“, versicherte sie ihm feierlich, ehe sie beide in fröhliches Lachen ausbrachen.
„Macht Dante das auch für mich?“
Sich seinen Onkel als Helden vorzustellen fiel ihr überhaupt nicht schwer. Mit seiner imposanten Gestalt und den breiten Schultern wirkte er absolut perfekt. Doch es waren vor allem seine strengen und markanten Gesichtszüge, die Aufmerksamkeit erregten. Seine sündhaft faszinierenden dunklen Augen schienen unendlich viel zu versprechen, sein prüfender, forschender Blick hingegen verursachte ihr ein seltsames Unbehagen.
Kennengelernt hatte sie ihn auf der Verlobungsfeier ihrer Schwester, zu der er extra aus New York eingeflogen war. Ein einziger Blick hatte genügt, um Wünsche in ihr zu wecken, die sich niemals erfüllen würden. Sie hatte Mühe gehabt, die außer Kontrolle geratenen Emotionen zu beherrschen und sich seiner starken Ausstrahlung zu entziehen, die ihr buchstäblich die Sprache verschlug und den Atem raubte.
Dieser Mann beflügelte ihre Fantasie wie kein anderer, und sie konnte sich gut vorstellen, in seinen Armen schwach zu werden. Und genau deshalb war sie auf der Hut und machte lieber einen Bogen um ihn. Sie befürchtete jedoch, dass er wusste, was in ihr vorging. Darauf deutete jedenfalls sein spöttischer Gesichtausdruck hin, als er sie am Ende des Abends zum Abschied federleicht auf die Lippen küsste. Ihr Herz hatte angefangen zu rasen, und verräterische Wärme hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet.
„Taylor?“, unterbrach Ben ihre Gedanken.
Rasch nahm sie sich zusammen, imitierte einen Schwerthieb und setzte eine entschlossene Miene auf. „Dante schlägt alle mit seinem mächtigen Schwert in die Flucht.“
Bens Augen wurden immer größer. „Hat er wirklich ein echtes Schwert?“
„Nein, aber das weiß ja niemand.“ Mit Ben auf dem Arm stand sie auf. „So, mein
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