Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
die Verkäufe sind wieder zu
gering, um sie zu zählen. Joachim mischt im Jahr 1986 seinem konstanten
Depressionspegel dennoch etwas Humor bei. Sein Motto: L. m. a. A.! Für die
nächsten zwei Jahre taucht Joachim Witt als Privatmann in Portugal ab.
Während dieser zwei Jahre überlegt Joachim immer wieder, ob
es noch Sinn hat, weiter Musik zu machen. Aber: Durch ein tiefes künstlerisches
Tal war er vor «Silberblick» schon einmal gegangen; das Gefühl ist ihm also
nicht fremd. Er glaubt fest daran, dass er es noch einmal schaffen kann, dass
irgendwann eine Flut kommt, die ihn mit fortnimmt. Ihm wird klar, dass er
anscheinend immer erst ein langes Tief durchleben muss, um danach etwas Großes,
etwas Bleibendes zu schaffen. 1988 trennen ihn davon noch ganze zehn Jahre.
«Warten ist lang» singt Joachim dann auch ungewollt prophetisch auf seiner
neuen Single «Engel sind zart», die 1988 nach 24 Monaten der völligen
Funkstille bei RCA erscheint. Dass sie sich nicht verkauft, wundert ihn nicht
besonders. Seinen Entschluss, es noch einmal mit deutschem Wortwitz zu
versuchen, bereut Witt zwar nicht, muss sich aber eingestehen, dass sein neues
Album «10 Millionen Partys» am Ende weder Fisch noch Fleisch geworden ist -
trotz der aufwändigen Produktion. Producerlegende Peter Hauke war als Supervisor
des Projekts eingesetzt worden, die Aufnahmen waren im inzwischen technisch
hochgerüsteten Studio von Joachims Kumpel Harry erfolgt. Beim Mix hatte sich
das Team für den Briten Andy Lunn und die Frankfurter Hotline Studios
entschieden. Wo also liegt das Problem?
In den Lyrics setzt Witt vordergründig auf beißenden Humor, aber in beinahe
jeder Zeile bestimmt der pessimistische Subtext den Fluss der Worte. Die
Mischung funktioniert nicht - die Aura der tiefen Krise gewinnt immer wieder
die Oberhand. Dass er in den Medien noch immer auf seine Rolle als NDW-Star und
den «Goldenen Reiter» reduziert ist, mag der eine Grund für den massiven
Misserfolg von «10 Millionen Partys» sein, der andere ist, dass Joachim mit der
LP nichts weiter als eine inkonsequente Sammlung glattgebügelter Nonsenslieder
abliefert. Musik muss Spaß machen, und «Partys» macht keinen Spaß, nicht einmal
Witt. Seinen einzigen Liveauftritt hat er mit dem Album bei einem Open Air.
Beim Titel «Pet Shop Boy» - einer ironischen Zeitgeistschmonzette - vermutet
das Publikum einen Affront gegen das britische Erfolgsduo und pfeift ihn aus.
Joachim kocht vor Wut, dreht sich auf der Bühne um zeigt seinen nackten
Hintern. Aufhören, fordert die Menge. Witt bricht das Konzert vorzeitig ab,
enttäuscht und verbittert. Die Demütigung hätte ihm möglicherweise jahrelang
schwer im Magen gelegen, wäre da nicht die Wende gekommen - und mit ihr das
Revival der Neuen Deutschen Welle.
Die Fans im Osten wollen sie jetzt leibhaftig sehen, die Helden ihrer Jugend,
die sie vor dem Mauerfall nur im Fernsehen oder in den Bravos aus Westpaketen
hatten bewundern können. Peter «Völlig losgelöst» Schilling kommt auf die Idee,
eine Interessengemeinschaft von NDW-Größen zu bilden, um dann gemeinsam auf
Tour zu gehen. Und das tun sie dann auch: Joachim Witt, Markus, Frl. Menke und
noch viele mehr schmeißen Anfang der Neunziger eine NDW-Party nach der anderen;
die Fans in den Neuen Bundesländern sind hin und weg. Es ist ein
beiderseitiges Geben und Nehmen: Die Ostjugend bekommen ihre Stars von
früher, die in den Medien verbrämten NDWler bauen mit jedem Applaus ihr
Selbstwertgefühl wieder auf. Für Joachim ist es eine Zeit voller Hochgefühl,
Glück und Lebensfreude. Und endlich fließt auch wieder etwas mehr Geld.
Auf den Konzertreisen wird Joachim von einem Mädchen begleitet, das er
einige Monate zuvor in einem Hamburger Tonstudio kennengelernt hatte. Sie ist
zwar noch keine 18, schreibt aber Songs, als habe sie schon ein halbes Leben
hinter sich. Witt freundet sich mit ihr an und nimmt sie in den Schulferien mit
auf Tour - mit Erlaubnis ihres Vaters. Dass Michelle Leonard in etwa 20 Jahren
Joachims Karriere entscheidend beeinflussen wird, kann er noch nicht wissen.
Auch nicht, dass eine junge Frau namens Nadja Saeger, in die er sich bei einer
der NDW-Partys schwer verliebt, ihn am Ende des Jahrtausends zu musikalischer
Höchstform inspiriert. Noch ist Joachim Witt damit beschäftigt, zusammen mit
Annette Humpe eine neue Platte aufzunehmen.
Kennengelernt hatten sich die beiden über Nena. Joachims zum Studio umgebautes
Dachgeschoß seiner Wohnung war
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