Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
Erster Akt.
Ganz versessen
Für den sechsjährigen Joachim Richard Carl Witt, geboren am 22. Februar 1949 in
Hamburg, ist das Wichtigste an seiner Einschulung die Schultüte - wegen der
vielen Süßigkeiten. Die Eltern enttäuschen ihn nicht, der Kleine bekommt ein
besonders prall gefülltes Exemplar. Mit der Freude über seine Zuckertüte geht
allerdings auch eine diffuse, erdrückende Angst einher. Joachim muss sogar
weinen, als seine Eltern weggehen und er in die Klasse muss. Das Gefühl, in
einen Klassenraum eingesperrt zu sein und nicht zu wissen, was auf ihm zukommt,
kann er nicht ausstehen. Daran wird sich auch in späteren Jahren nichts ändern.
Musik und Sport sind seine Lieblingsfächer. Deutsch ist ihm egal, Geschichte
auch, Erdkunde sowieso - eigentlich alles außer seinen beiden Favoriten. Er mag
die alten Volkslieder, die ihm im Musikunterricht vermittelt werden, vor allem
«Zogen einst fünf wilde Schwäne» und «Sah ein Knab' ein Röslein steh'n».
Joachim liebt das Gemeinschaftsgefühl, wenn der ganze Klassenverband einstimmt.
Doch obwohl ihm das gemeinschaftliche Singen neben dem Sport in der Schule am
meisten Spaß macht - dass er später einmal ein erfolgreicher Sänger
werden würde, ahnt Joachim noch nicht.
Joachims Vater ist Filmkaufmann, seine Mutter unterstützt ihren Mann dabei.
Die beiden sind oft unterwegs, vor allem in Frankreich - ihr Sohn verbringt daher
viel Zeit bei seinen Großeltern in Bremen. Für Joachim ist das alles
andere als ein Abstellgleis; er freut sich immer wahnsinnig auf die Besuche.
Die Großeltern unternehmen in der 50er Jahren viel mit ihrem Enkel, wecken sein
Interesse für die Natur, aber das aufregendste ist für Joachim etwas ganz
anderes: Oma und Opa haben ein Drogeriegeschäft, und er darf hinten im Kontor
herumspielen. Es fasziniert ihn, an einem Ort zu sein, an dem nicht jeder sein
darf. Außerdem ist Joachims Großmutter leidenschaftliche Sängerin, wenn
auch nur in ihrer Freizeit. Sie hat eine glockenklare Sopranstimme, und bei
familiären Anlässen freut sich die gesamte Verwandtschaft auf ihre Darbietung.
Der kleine Joachim ist schwer beeindruckt, wenn die Großmutter zusammen mit ihrer
Schwester zweistimmig Lieder vorträgt. Aus dieser Ecke hat er seine
musikalische Begabung.
Joachim, das introvertierte Kind, stimmt zwar nicht mit ein, wenn die Oma
singt, traut sich dafür aber etwas anderes: Er stellt sich in den Raum und
dirigiert. Seine Verwandten können sich nur wundern, wie man in diesem Alter -
Joachim ist noch nicht einmal zehn - Musik derart intensiv verstehen,
interpretieren und in Bewegung umsetzen kann. Joachim Witt bekommt sein erstes
positives Feedback von einem Publikum. Mit nur 11 Jahren begeistert er
schon das ganze Gymnasium Eppendorf, als er mit dem A-Chor der Schule bei der
Aufführung des Oratoriums "Das Unaufhörliche" zu sehen und zu hören
ist.
In seinen beiden Lieblingsfächern Musik und Sport zeigt Joachim mit jedem
Schuljahr mehr Talent. Ansonsten allerdings schreibt er schlechte Arbeiten, vor
allem in Mathematik. Das Denken in naturwissenschaftlichen Strukturen fällt ihm
schwer, er hält sich für unlogisch und chaotisch, selbst in Fächern, die ihm
aufgrund seiner Begabung durchaus liegen müssten. Wenn er etwa im Fach
Literatur Arbeiten schreiben soll, geht mit ihm die Phantasie durch, so dass er
fast immer danebenliegt: Wenn es um Interpretationen von Texten geht, darum,
wie etwas gemeint sein könnte, ist er in den allermeisten Fällen in den Augen
der Lehrer auf der falschen Fährte. Den Schüler Joachim Witt verwirren solche
Aufgaben. Die schönsten Momente sind für ihn ohnehin die Pausen. Joachim gehört
an seiner Schule in Hamburg zu den Coolen, zu denen, auf deren Worte man etwas
gibt. Noch sind es nur seine sportlichen Leistungen, die Mitschüler und Lehrer
gleichermaßen beeindrucken.
Zu seinem zwölften Geburtstag bekommt Joachim einen Plattenspieler, das größte
Geschenk, dass ihm seine Eltern in diesem Alter machen können. Zuerst hört er
fast ausschließlich Freddy Quinn. In dessen Stimme hört er eine
unverwechselbare Tiefe, spürt eine Energie, die ihn sein Leben lang
beeindrucken wird. Er liebt Songs wie «Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong»,
«Junge, komm' bald wieder» und allen voran «Heimweh», die deutsche Version von
Dean Martins «Memories Are Made of This».
Neben Freddy Quinn entdeckt er den Twist für sich - Chubby Checker, Joey Dee
& The Starliters oder Hank Ballard &
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