John Lennon - across the universe - die spirituelle Biografie
wie schieres Wunschdenken vorkommen mögen, als einen von allen guten Geistern verlassenen Idealisten karikieren. Dabei ist dies eine gar nicht so unpassende Beschreibung – mit einer wichtigen Einschränkung allerdings: Lennon war ein
zynischer
Idealist.
Einige wenige Politiker und Milliardäre einmal ausgenommen, wurde Lennon mit so viel Heuchelei, Doppelzüngigkeit und verborgenen Absichten konfrontiert wie wahrscheinlich kaum jemand sonst auf dem Planeten. Über die Tatsache, dass auf dem Weg zu einer besseren und friedlicheren Welt das natürliche Eigeninteresse ein großes Hindernis darstellt, wusste er sehr wohl Bescheid. Dessen ungeachtet war Lennon jedoch zuversichtlich, dass wir dieses Ziel erreichen können, sofern wir einen gemeinsamen Traum haben und diesen im Blick behalten – ihm als Gesellschaft vor unserem inneren Auge Gestalt geben, ihn in der Weise imaginieren können, wie er es in »Imagine« angesprochen hat.
Wenn wir die Einsichten und Schlussfolgerungen, zu denen Lennon selbst gelangt ist, für einen Moment beiseitelassen, können wir seiner lebenslangen Suche und seinem schöpferischen Werk bei genauerer Betrachtung drei sehr hilfreiche Leitlinien entnehmen:
1. Wir sind es uns selbst schuldig, unsere kulturell tradierten »Wahrheiten« zu hinterfragen und den Motiven der sogenannten Experten, der Regierenden und anderweitiger Autoritäten prinzipiell mit einer zynischen Einstellung zu begegnen. Jeder von uns hat das Recht zu einer auf persönlichen Erfahrungen und Einsichten gründenden Einschätzung jeder Situation, mit der er es zu tun bekommt.
2. Wir sind es uns selbst schuldig, unser Leben so zu führen, wie ein Künstler ein Kunstwerk schafft, und dabei die Möglichkeiten und Ressourcen, mit denen das Geschick uns gesegnet hat, bestmöglich zu nutzen. Unser Glück können wir am besten finden, indem wir die Zeit, die das Geschick uns zugesteht, mit Dingen verbringen, die uns Freude bereiten, und in liebevolle Beziehungen zu unseren Mitmenschen eingebunden sind.
3. Uns selbst wie auch unseren Nachkommen schulden wir, aufgrund der Einsicht, dass unsere Gedanken, Worte und Handlungen im Lauf der Zeit immer weitere Kreise ziehen werden, das Bemühen um einen inneren Wandlungsprozess, eine Selbsttransformation.
Einen Großteil seiner kreativen Energie hat Lennon auf das Bemühen verwendet, uns wachzurütteln – uns für neue Möglichkeiten und für das uns innewohnende Potenzial die Augen zu öffnen. Auch wenn er seine Bestrebungen nie so bezeichnet hat, kann man mit guten Gründen behaupten, dass er nach einer neuen Aufklärung verlangt hat.
Die als »die Aufklärung« bezeichnete Bewegung war von einer Gruppe europäischer Intellektueller inspiriert. Nach ihrer Auffassung gehen die meisten Menschen mit Überzeugungen, die ihnen von den Eltern, vom größeren sozialen Umfeld, von der Nation und der Kirche eingetrichtert werden, gewissermaßen mit geistigen Fußfesseln durchs Leben: in einer »selbstverschuldeten Unmündigkeit«, um mit Immanuel Kant zu sprechen. Die Zeit sei reif, sich aus solch doktrinärem Denken zu befreien, so erklärten diese Intellektuellen. Die Menschen in die Lage zu versetzen, ihres eigenen Glückes Schmied zu sein, indem sie von den Möglichkeiten des rationalen Denkens und der Wissenschaft Gebrauch machen, darin bestand ihr erklärtes Ziel.
Lennon hat diesen Aufruf, der ganz in seinem Sinne war, aufgegriffen und auf die für ihn charakteristische Weise künstlerisch umgesetzt. Als nicht zu bändigender Freigeist hat er es in vielerlei Hinsicht geschafft, sich dem Kokon der eigenen Kultur zu entwinden und sie von einer in hohem Maß objektivierten Warte aus zu betrachten. Er hat eine eigenständige Auffassung vom menschlichen Dasein im Allgemeinen und der Zeit, in der er gelebt hat, im Speziellen entwickelt – und sich von ganzem Herzen gewünscht, andere würden dies ebenso tun. Begeistert von der Aussicht, dass sich die Menschen überall auf dem Planeten ihrer geistigen Fesseln entledigen könnten, stellte er sich in seiner Musik und seinen Interviews der Aufgabe, quasi als Katalysator im Sinn einer Transformation der jetzigen Welt zu einer besseren Zukunft zu wirken.
2
Rock ’n’ Roll
In den Jahren, als John Lennon heranwuchs, war England von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs schwer gezeichnet. Die deutsche Luftwaffe hatte mit ihren Bombern den strategisch bedeutsamen Hafen von Liverpool wiederholt ins Visier genommen und dabei einen
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