John Puller 01 - Zero Day
– das inzwischen klassische beidhändige Schießen mit einer Waffe. Dabei hielt eine Hand die Waffe, die andere die Schusshand, wobei der Schütze mit dem Schussarm nach vorn drückte und mit dem anderen Arm nach hinten zog, um auf diese Weise den Rückstoß zu vermindern.
Puller sah, dass Cole die Schusshand umklammerte, aber nicht das Handgelenk hielt. Deshalb würde der Griff der Waffe, sobald sie feuerte, ins Zittern geraten. Aber sie benutzte den King Cobra, als wüsste sie damit umzugehen. Zwar grenzte ihre Haltung nicht ans Vollkommene, doch es reichte mit Sicherheit, um ihn aus dieser Entfernung abzuknallen.
Mit drei Fingern holte Puller seine Papiere aus der Hemdtasche. »Klappen Sie das Etui auf«, wies Cole ihn an. »Erst den Dienstausweis, dann das ID-Kärtchen.« Puller gehorchte. Cole betrachtete die Fotos, dann ihn. Schließlich senkte sie den Revolver. »Tut mir leid.«
»Ich hätte das Gleiche getan.«
Sie steckte den King Cobra zurück ins Holster. »Aber Sie haben nicht nach meinen Ausweisen gefragt.«
»Ich habe Sie angeläutet und gebeten, dass Sie herkommen. Name und Rufnummer stehen in der offiziellen Armeeakte. In solchen Dingen unterlaufen der Armee keine Fehler. Ich habe Sie mit der Dienstmarke am Gürtel aus dem Wagen steigen sehen. Und als ich Sie packte und Sie ›Scheiße‹ gerufen haben, konnte ich dank unseres vorherigen Telefonats Ihre Stimme erkennen.«
»Trotz allem habe ich Sie überrascht.«
»Vielleicht weniger, als Sie glauben.« Puller zeigte ihr das KA-BAR -Messer, das er in der anderen Hand hielt, hinter dem Unterarm verborgen. »Wahrscheinlich hätten Sie reflexhaft noch einen Schuss abgegeben. Dann hätten wir wohl beide auf dem Boden gelegen.« Er schob das Messer in die Gürtelscheide. »Aber es ist ja nichts passiert.«
»Dass Sie das Messer gezogen haben, ist mir entgangen.«
»Ich hatte es schon in der Hand, bevor Sie zur Waffe gegriffen haben.«
»Wieso?«
»Weil ich beobachtet hatte, dass Sie mich angeschaut haben, dann den King Cobra, als Nächstes die Leichen. Da war es nicht schwer zu erraten, was Sie dachten.«
»Warum haben Sie dann nicht selbst Ihre Waffe gezogen?«
»Wenn ich eine Pistole ziehe, dann nur, um sie auch zu benutzen. Ich wollte eine ohnehin peinliche Situation nicht verschlimmern. Mir war klar, dass Sie nach meinen Papieren fragen. Das Messer diente bloß als Rückversicherung für den Fall, dass Sie doch etwas anderes im Sinn haben sollten.« Wieder richtete Puller den Blick auf die Leichen. »Also, wie steht’s bei den Jugendlichen?«
Cole trat vor, zog ein Paar Gummihandschuhe aus ihrer Windjacke, streifte sie über, fasste den Jungen im Nacken und neigte den Oberkörper um etwa zehn Grad vornüber. Mit der freien Hand deutete sie auf eine Stelle am Halsansatz. Puller beleuchtete die Stelle mit der Maglite-Stablampe. Er sah einen großen, blauroten Bluterguss. »Jemand hat ihm den Hirnstamm zerschmettert«, sagte er.
Cole lehnte den Leichnam zurück in die vorherige Sitzhaltung. »Genauso sieht’s aus.«
»Das Gleiche beim Mädchen?«
»Ja.«
»Nach dem Zustand der Leichen sind sie, über den Daumen gepeilt, mehr als vierundzwanzig Stunden tot, aber noch keine sechsunddreißig. Hat Ihre Spurensicherung einen genaueren Befund ergeben?«
»Ungefähr neunundzwanzig Stunden. Sie sind nah dran.«
Puller schaute auf die Armbanduhr. »Dann müssen sie am Sonntag ungefähr gegen Mitternacht ermordet worden sein.«
»Anscheinend.«
»Und der Postbote hat sie montags am frühen Nachmittag gefunden. Da müsste die Leichenstarre gerade erst eingesetzt haben. Können Sie diese zusätzliche Annahme bestätigen?«
»Ja.«
»Ist dem Postboten irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?«
»Sie meinen, nachdem er sich nach unserer Ankunft noch viermal auf den Rasen übergeben hat? Nein, kann man nicht behaupten. Die Mörder waren schon lange fort.«
»Aber heute Nacht sind sie zurückgekehrt. Und haben sich nicht gescheut, einen Polizisten umzubringen. Gibt es irgendwelche sonstigen Verletzungen oder Blessuren?«
»Wie Sie sehen, haben wir die Leichen bisher nicht entkleidet, uns allerdings alles sehr gründlich angesehen und nichts festgestellt. Aber zerschmettert man jemandem den Hirnstamm, ist er tot.«
»Ja, das ist mir auch klar.« Puller sah sich im Wohnzimmer um. »Für so etwas muss man sich allerdings auskennen. Man muss genau treffen, sonst betäubt man das Opfer nur.«
»Dann war es wohl ein Profikiller.«
Oder ein
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