Ein skandalöses Rendezvous (German Edition)
1
Eine unabhängige Frau ist eine schutzlose Frau. Nie hatte Audrianna die erste Lektion ihrer Cousine Daphne besser verstanden als heute.
Eine unabhängige Frau war außerdem eine Frau von zweifelhafter Ehrbarkeit.
Als sie durch die Tür des kurz vor Brighton gelegenen Gasthofs Two Swords trat, zog dies mehr Aufmerksamkeit auf sie, als einer anständigen jungen Dame recht sein konnte. Unverhohlen musterten die Leute sie von Kopf bis Fuß. Mehrere Männer beobachteten ihren einsamen Weg durch den Schankraum mit einem kühnen Interesse, dem sie so noch nie unterworfen worden war.
Die Vermutungen, die man ihr mit diesen Blicken unterstellte, verschlechterten ihre Stimmung noch mehr. Sie hatte sich voll rechtschaffener Entschlossenheit auf diese Reise begeben. Die für den späten Januar ungewöhnlich intensiv scheinende Sonne und die milden Temperaturen schienen von der Vorsehung geschickt worden zu sein, um ihre große Mission zu unterstützen.
Doch die Vorsehung hatte sich als wankelmütig erwiesen. Eine Stunde nachdem sie London verlassen hatte, sorgten Wind, Regen und die zunehmende Kälte dafür, dass sie es zutiefst bereute, den Platz auf dem Kutschbock gewählt zu haben. Nun war sie vom stundenlangen kalten Regen völlig durchnässt und mehr als nur ein wenig unleidlich.
Doch sie versuchte, Haltung zu bewahren, während sie den Gastwirt ausfindig machte. Sie fragte ihn nach einem Zimmer für die Nacht. Er musterte sie streng, dann sah er sich nach dem Mann um, der sie verloren haben musste.
»Hat Ihr Ehemann noch im Stall zu tun?«
»Nein, ich bin allein.«
Sein bleiches, faltiges Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Er schürzte die Lippen, während er sie erneut ausgiebig taxierte.
»Ich habe eine kleine Kammer, die Sie haben können, aber sie geht zum Stallhof raus.« Sein widerwilliger Tonfall machte deutlich, dass er sie entgegen seines besseren Wissens aufnahm.
Anscheinend bekam eine alleinstehende Frau das schlechteste Zimmer in einem Gasthof. »Es wird genügen, solange es trocken und warm ist.«
»Dann folgen Sie mir.«
Er brachte sie zu ihrem Zimmer am Ende des ersten Stocks. Dann machte er ihr ein Feuer im Kamin an, jedoch nur ein kleines. Ihr fiel auf, dass es nicht genügend Brennholz gab, um es viel wärmer zu machen, und es würde auch keinesfalls für die ganze Nacht reichen.
»Ich brauche die Bezahlung für die erste Nacht im Voraus.«
Audrianna schluckte ihre Verärgerung über diese Beleidigung herunter und griff tief in ihr Ridikül, dem sie drei Shilling entnahm. Das war mehr als genug, um das Zimmer eine Nacht lang zu mieten, aber sie drückte dem Mann alles in die ausgestreckte Hand.
»Wenn jemand ankommt und sich nach einem Mr Kelmsley erkundigt, schicken Sie diese Person bitte zu mir hoch. Sagen Sie aber nichts von meiner Anwesenheit oder sonst etwas über mich.«
Er runzelte zwar die Stirn über ihre Anweisung, doch die Münzen in seiner Hand ließen ihn schweigen. Als er mit dem Geld einfach davonging, nahm sie an, dass sie eine Abmachung getroffen hatten. Jetzt hoffte sie nur noch, dass die Ergebnisse dieser Mission die Beschädigung ihrer Reputation wert waren.
Sie zählte kurz nach, wie viel Geld noch in ihrem Handbeutel war. Wahrscheinlich würde sie bis zum Morgen einen Großteil davon ausgegeben haben. Sie würde London nur zwei Tage lang fernbleiben, aber diese Reise würde die Ersparnisse, die sie durch die vielen Musikstunden angesammelt hatte, vollkommen aufbrauchen. Nun musste sie weitere Monate mit nörgelnden Mädchen und schlecht gesungenen Tonleitern ertragen, um den Verlust zu ersetzen.
Dann zog sie ein Stück Papier aus ihrem Ridikül. Sie hielt das Blatt in den Lichtschein des Feuers, auch wenn sie die Worte darauf bereits auswendig kannte. Der Domino erbittet, dass Mr Kelmsley ihn in zwei Tagen im Two Swords in Brighton trifft, um eine Angelegenheit von beiderseitigem Nutzen zu besprechen.
Nur durch reines Glück hatte sie von dieser Anzeige in der Times überhaupt erfahren. Wenn ihre Freundin Lizzie nicht stets in jeder Zeitung diese Bekanntmachungen durchgehen würde, wäre sie Audrianna wohl entgangen.
Der Nachname war zwar falsch geschrieben, aber sie war sich sicher, dass es sich bei dem hier erwähnten Mr Kelmsley um ihren Vater Horatio Kelmsleigh handelte. Offensichtlich wusste die Person, die sich mit ihm treffen wollte, noch nicht, dass er tot war.
Erinnerungen an ihren Vater drängten sich ihr auf. Audriannas Herz wurde schwer und
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