John Sinclair - 0974 - Monsterzeit (2 of 2)
Wer war er? Sie wußte nur, wie er hieß, sie hatte kaum mit ihm über konkrete Dinge geredet. Sie hatte diesen Fremden in ihr Haus gebracht, weil es einfach zu den Menschenpflichten gehörte, anderen zu helfen. Aber sie traute ihm nicht, denn auf dem Weg zum Haus hatte sie die Umrisse der Waffe gespürt, die der Mann bei sich trug.
Es war ein Revolver. Ein tödliches Instrument. Wer trug eine Waffe?
Sie nicht. Ihr Vater hatte eine besessen, daran konnte sie sich noch gut erinnern, aber sonst?
Oder hatte dieser Fremde die Waffe nur getragen, um sich zu schützen?
Vieles konnte zutreffen, aber es mußte nicht so sein, und deshalb war sie mißtrauisch.
Er hatte den Trank zu sich genommen. Darüber war sie natürlich mehr als froh, so konnte er ihr in den folgenden Stunden nicht entwischen. Der Trank machte ihn müde, nachdem er ihn aufgeputscht hatte. Danach würde er schlafen, aber er würde auch …
Sie dachte nicht mehr weiter, sondern ihre Gedanken drehten sich darum, wie diese Person reagieren würde, wenn sie plötzlich wieder aufwachte. Sie würde sehen können. Sehr gut sogar.
Und dann dachte Greta an den nächsten Tag, wenn das Licht der Sonne sich freie Bahn verschaffte.
Furchtbar. Sie würde wieder im Rollstuhl sitzen. Der nächtliche Zauber war dahin. Der Wald, ihr Freund, hatte seine Kräfte zurückgezogen.
Noch war es nicht soweit. Noch konnte sie sich auf ihren Freund verlassen, und das wollte sie auch tun.
Deshalb stand Greta Kinny auf und näherte sich mit langsamen Bewegungen der zweiten Tür in der Küche, die nach hinten führte. Sie war mit einem dünnen Fliegengitter verdrahtet, hatte einen Holzrahmen, gegen den Greta drückte, um die Tür aufzustoßen.
Sie lauschte den leisen, knarrenden Geräuschen. Sie horchte in den Wald hinein, aus dem ihr keine Botschaft entgegendrang. Alles blieb sehr, sehr still.
Dann verließ sie ihr Haus. Die Kühle wehte ihr entgegen. Die Bäume, ihre Freunde, hatten die aufgespeicherte Hitze des Tages längst abgegeben und bereiteten sich auf den erneuten Sonnenaufgang vor.
Der Wind wehte jetzt etwas stärker als am Abend. Er fuhr auch in den Wald hinein, wo er die Bäume berührte, bevor er sich seine Bahn durch die freien Stellen schuf. Er spielte mit den Blättern. Er rüttelte an ihnen, er schüttelte sie durch, und so entstand das geheimnisvolle Rascheln, als wären unzählige Stimmen dabei, eine Botschaft durch den Wald zu wispern.
Sie lächelte und lauschte den Stimmen.
Sie war allein und glücklich. Perry Cameron schlief. Noch …
*
Aber er wachte auf und schoß in die Höhe.
Er kam sich vor, als hätte jemand an ihm gezerrt und ihm dann noch einen Stoß in den Rücken versetzt. So schnellte er in die sitzende Haltung, in der er auch blieb. Jemand keuchte im Zimmer. Das Geräusch umgab ihn, als würde es von einer alten Maschine stammen, die in den letzten Zügen lag, bevor sie auseinanderbrach.
Aber das stimmte nicht.
Es gab keine Maschine in diesem Zimmer. Es gab auch keine fremde Person. Das Keuchen stammte einzig und allein von ihm, und es drang aus seinem offenen Mund.
Es vergingen schon einige Sekunden, bis sich Cameron daran gewöhnt hatte und sich um sich selbst kümmerte. Abermals erlebte er den unerklärlichen Schweißausbruch. Das Zeug strömte wirklich aus allen Poren und durchnäßte seine sowieso schon feuchte Kleidung noch stärker. Er roch seine eigenen Körperausdünstungen, und er dachte daran, wie schmutzig die Kleidung letztendlich war.
Widerlich …
Aber Cameron blieb sitzen. Er starrte nach vorn. Er sah seine Füße, bewegte die Zehen, verzog die Nase, denn er mußte feststellen, daß er den Geruch, den er jetzt ausströmte, schon einmal wahrgenommen hatte.
Das war im Wald gewesen, wo es wirklich so bitter und extrem gerochen hatte.
Er schüttelte sich. Seine Lippen zitterten ebenfalls. Das Herz schlug sowieso schneller als gewöhnlich, und die Handflächen waren sehr glatt geworden.
Cameron fühlte sich äußerlich wie in einem Gefängnis steckend, aber sein Geist war frei. Er konnte denken, er war in der Lage, sich mit gewissen Dingen zu befassen, und so brandete eine Frage immer wieder auf. Warum bin ich wach geworden? Was hat mich aus dem tiefen Schlaf gerissen? Tief war er wirklich gewesen, nur wenig erholsam, denn Perry fühlte sich körperlich ziemlich marode.
So blieb er im Bett sitzen. Dabei kam er sich vor, als würde er in einem Feuchtgebiet hocken. Es gab keinen trockenen Faden mehr in seiner
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