Jorina – Die Jade-Hexe
der Tür, als knüpfe dieser Blick eine Verbindung, die für sie beide noch von Bedeutung sein würde.
Staub drang in ihre Lungen, und sie hustete, war verärgert über die eigenen dummen Gedanken. In den Augen eines solchen Herrn war eine Magd ein unbedeutendes Nichts. Ein Sandkorn unter vielen an den Stränden der Meere, die ihre Heimat auf drei Seiten umgaben.
Ob jener, der dort hinten bei den Verwundeten im Stroh lag, auch an der Seite seines Herrn hier entlanggeritten wäre, hätte ihm das Schicksal den Sieg gegönnt? Vielleicht schenkte sie seinetwegen den Rittern solche Aufmerksamkeit, wie sie es sonst sicher nicht getan hätte.
Der Gedanke an den Mann, der zwischen Leben und Tod schwebte, erinnerte Jorina an ihre Pflichten. Sie raffte ihren schmutzigen Rock und lief zum Brunnen. Ihre Holzschuhe hinterließen unregelmäßig Abdrücke im Straßenschmutz, als sie zum Ziehbrunnen eilte. Sie kreuzte dabei die Spuren der Ritter – und sie ahnte dabei nicht, dass es nicht das letzte Mal sein sollte ...
Jorina reihte sich geduldig in die Schlange der Frauen vor dem Brunnen ein. Viele der lebenswichtigen Zisternen waren bei der Plünderung von Auray verschmutzt, zerstört und unbrauchbar gemacht worden. Die wenigen brauchbaren Wasserquellen wurden mittlerweile so belagert, dass die Soldaten des Herzogs für Ordnung im Gedrängel sorgen mussten. Es kam niemandem eigenartig vor, dass dieselben Männer, die Tage zuvor geplündert und geraubt hatten, nun dafür sorgten, dass wieder ein geregeltes Leben in den Trümmern von Auray begann.
Jorina genoss das kurze Atemholen. In der Menge der einfachen Frauen empfand sie eine trügerische Sicherheit. Sie konnte sich einreden, zu ihnen zu gehören. Hier war sie nicht die Außenseiterin, die Tochter der Hexe. Auch nicht die misstrauisch beobachtete Novizin, die lediglich wegen der Befehle der Äbtissin geduldet wurde.
Jorina hatte zu schweigen gelernt, zu gehorchen und ihr Sehnen zu verbergen. Aus diesem Grunde dauerte es geraume Zeit, bis sie bemerkte, dass die junge Frau neben ihr tatsächlich ihre Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. Sie erwiderte scheu das Lächeln der Fremden, deren rundes Gesicht zerkratzt war und unter dem rechten Auge einen bläulich schimmernden Bluterguss aufwies.
»Wir können froh sein, dass wir es überlebt haben, findest du nicht auch?« begann die junge Frau. »Woher kommst du, ich hab’ dich noch nie in Auray gesehen ...«
»Aus Penhors.« Jorina blieb geschickt wenigstens bei einem Teil der Wahrheit. »Ich ... ich war nur zu Besuch hier und ...«
»Armes Ding«, meinte das Mädchen mitfühlend. »Hast dir einen schlechten Tag für eine solche Visite ausgesucht. Bist du auch den Söldnern des Schurken Cado in die Hände gefallen? Was ist mit deinen Leuten?«
»Alle tot«, murmelte Jorina, und auch hier musste sie nicht lügen.
»Gütige Mutter Gottes! Ich weiß nicht, was diese Stadt getan hat, um so gestraft zu werden. Hast du Unterschlupf gefunden?«
Jorina brauchte nicht länger zu antworten, denn in diesem Augenblick war sie an der Reihe, ihren Krug unter den Strahl klaren Wassers zu halten, das ein bulliger Knecht im Ledereimer aus den Tiefen des Brunnens gezogen hatte. Sie schlüpfte mit dem kostbaren Nass davon, ehe ihre Nachfolgerin sie noch weiter ausfragen konnte.
»Hast dir reichlich Zeit gelassen, Mädchen«, schnauzte der Wachhabende sie an, als sie wieder in den Hof trat. »Ich werde ...«
»Platz da für den Seigneur Cocherel, den mächtigen Herzog von St. Cado!«
Was die schnarrende Stimme nicht vollbrachte, besorgte der gefürchtete Name. Alle wichen vor dem Söldnerführer zurück, von dem man sagte, dass er Jean de Montfort zum Sieg verholfen habe. Jorina schlüpfte hinter den nächsten Mauervorsprung und erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen massigen Mann, dessen bullige Gestalt durch den Harnisch und einen pelzgefütterten, schweren Umhang noch betont wurde. Unter schweren Lidern glitzerten aufmerksame gelbe Raubvogelaugen, denen nichts zu entgehen schien.
Sie hielt den vollen Wasserkrug so fest gegen sich gedrückt, dass er überschwappte und das Wasser ihr Hemd durchnässte. Sie vermochte die Blicke nicht von diesem Mann zu nehmen, der ihr wie die Verkörperung roher Gewalt und Willkür erschien. Was wollte er hier? Noch mehr Unglück über die Männer bringen, die unter Schmerzen zwischen Leben und Tod lagen? Dem Wundfieber, einem unfähigen Wundarzt und dem Schicksal ausgeliefert?
Unter dem
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