Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
er das Mißgeschick, sich deine Unzufriedenheit zuzuziehen?«
Sie lächelte geringschätzig über sein Ausweichen.
»Du weißt«, antwortete sie, »so gut wie ich und ganz Wêse, daß Mont-kaw an wurmiger Niere dahinsiecht und sich seit einigem schon der Dinge so wenig annimmt wie du. An seiner Statt waltet ein anderer, den sie seinen Mund nennen und dessen Wachstum in diesen Rang man nie hätte für möglich halten sollen. Noch nicht genug damit, heißt es auch, daß ebender sogenannte Mund nach des Mont-kaw voraussichtlichem Verbleichen gänzlich und endgültig an seine Stelle treten und all das Deine in seine Hände getan werden solle. Du rühmst deinem Meier treues Gefühl nach für deine Würde. Erlaube mir zu gestehen, daß ich in seinen Handlungen dieses Gefühl vergebens suche.«
»Du denkst an Osarsiph?«
Sie senkte das Gesicht.
»Es ist eine sonderbare Ausdrucksweise«, sagte sie, »daß ich an ihn denke. Wollte der Verborgene, es gäbe ihn nicht, daß man nicht an ihn denken könnte, statt daß man es nun durch Schuld deines Vorstehers beschämenderweise zu tun gezwungen ist. Denn der Nierenkranke hat den, den du nanntest, als Knaben von ziehenden Krämern gekauft, und statt ihn zu halten nach seiner Niedrigkeit und seinem Elendsgeblüt, hat er ihn groß herangezogen und überhandnehmen lassen im Hause, hat alles Gesinde ihm unterstellt, so deines wie meines, und es dahin gebracht, daß du, mein Herr, mit einer Geläufigkeit von dem Sklaven sprichst, die mich schmählich berührt und gegen die mein Gemüt sich empört. Denn wenn du nachdächtest und sagtest: ›Ich merke, du meinst den Syrer da, vom elenden Retenu, den ebräischen Knecht‹, so wär’ es natürlich und nach der Sache. Wohin es aber gekommen ist, zeigt mir deine Redeweise, die lautet, als wär’ er dein Vetter, – nennst ihn vertraulich bei Namen und fragst mich: ›Denkst du an Osarsiph?‹«
Da hatte auch sie den Namen ausgesprochen, mit einer Überwindung, die sie heimlich beseligte und die zu üben sie sich gesehnt hatte. Sie stieß die mystischen Silben, in denen Tod und Vergöttlichung anklangen und die für sie alle Süßigkeit des Verhängnisses bargen, mit einem Schluchzen hervor, in das sie Empörung zu legen suchte, und zog wie vorhin ihr Gewand vor die Augen.
Wieder erschrak Potiphar aufrichtig.
»Was ist, was ist, meine Gute?« sprach er, die Hände über sie breitend. »Tränen aufs neue? Laß mich verstehen, warum! Ich nannte den Diener, wie er sich und wie jeder ihn nennt. Ist nicht der Name die kürzeste Art, sich über eine Person zu verständigen? Ich sehe, meine Vermutung war richtig. Der kenanitische Jüngling liegt dir im Sinn, der mir als Mundschenk und Vorleser dient, und zwar, ich leugne es nicht, zu meiner stillen Zufriedenheit. Sollte das nicht ein Grund für dich sein, über ihn milde zu denken? Ich habe keinen Teil an seiner Erwerbung. Mont-kaw, der Vollmacht hat, Diener einzustellen und zu entlassen, kaufte ihn vor Jahren von ehrbaren Händlern. Dann aber fügte es sich, daß ich ihn prüfte im Gespräch, da er Blüten reiten ließ in meinem Garten, und ihn auffallend angenehm erfand, von den Göttern begabt mit wohltuenden Gaben des Körpers und Geistes, und zwar in bemerkenswerter Verschränkung. Denn seine Schönheit erscheint als die natürliche Veranschaulichung der Anmut seines Verstandes, diese aber, hinwiederum, als eine andere, unsichtbare Äußerungsform des Sichtbaren, wofür du, wie ich hoffe, mir das Urteil ›bemerkenswert‹ nachsehen wirst, denn es ist angebracht. Auch ist seine Herkunft durchaus nicht die erste beste, denn wenn man will, kann man seine Geburt sogar jungfräulich nennen, jedenfalls aber steht fest, daß sein Erzeuger eine Art von Herdenkönig und Gottesfürst war und daß der Knabe in schönem Range lebte, als ein Beschenkter, indem er aufwuchs bei seines Vaters Herden. Freilich wurde dann allerlei Weh seine Nahrung, und es gab Leute, die mit Erfolg seinen Schritten Fangstricke legten. Aber auch seine Leidensgeschichte ist bemerkenswert; sie hat Geist und Witz oder, wie man zu sagen pflegt, Hand und Fuß, und eine ähnliche Verschränkung waltet darin wie die, die sein günstiges Äußeres und seinen Verstand als ein und dieselbe Sache erscheinen läßt: denn sie hat zwar ihre eigene Wirklichkeit für sich selbst, scheint aber außerdem auf ein höher Vorgeschriebenes Bezug zu nehmen und sich damit ins Einvernehmen zu setzen, so daß du das eine schwerlich vom anderen
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