Jud Sueß
Bedingung auseinander. Als er zu Endewar, machte Süß keine Bewegung, tat nicht den Mund auf. Tiefer als je fühlte der feine Fürst sich geschlagen. Da hatte er die Reise gemacht, und nun saß der Jude da, refüsierte nicht einmal pathetisch, sagte einfach nichts. Der Fürst fühlte sich plötzlich alt und matt, er ertrug das Schweigen nicht mehr, sagte mit gemachtem Spott: »Sie haben im Gefängnis Ihre guten Manieren verlernt. Wenn man sich so für Sie abplagt, könnten Sie doch wenigstens Mille merci sagen.«
»Mille merci«, sagte Süß.
Der Fürst stand auf. Daß dieser Jude sich nicht von ihm retten, sondern sich lieber an den lichten Galgen hängen lassen wollte, empfand er als persönliche Kränkung. »Sie sind ein Narr in Folio, mein Lieber«, sagte er, und seine verbindliche Stimme wurde überraschend scharf. »Ihr Stoizismus ist durchaus veraltet. Man stirbt nicht mehr, um in den Historienbüchern der Schuljungen eine bessere Zensur zu kriegen. Besser ein lebendiger Hund als ein toter Löwe, bemerkte sehr richtig Ihr König Salomo.« Er stäubte sich den Rock ab, schloß, schon unter der Türe: »Lassen Sie sich wenigstens den Bart balbieren und ziehen Sie sich gut an, wenn Sie« – er rümpfte die Nase – »partout dahinauf wollen. Das kann man verlangen von jemandem, den man so freundlich in seinen Kreis aufgenommen hat. Sie haben ein zahlreiches und prominentes Publikum. Ihr ganzes Leben haben Sie gute Figur gemacht. Stellen Sie sich Ihrem Kavaliersruf nicht selber in den Schatten, wenn Sie von diesem Welttheater abtreten.« Damit ging er.
Der Galgen, an dem Süß gehenkt werden sollte, war hundertundvierzig Jahre vorher erbaut worden. Es war ein sehr kostspieliger Galgen, er hatte schon in jener frühen, wohlfeilen Zeit dreitausend oberländische Gulden gekostet, er war durchaus etwas Besonderes und sehr anders als der hölzerne Ordinarigalgen. Er war hoch wie ein Turm, fünfunddreißig Fuß war er hoch. Er war ganz aus Eisen erbaut, aus den sechsunddreißig Zentnern und achtzehn Pfund Eisen, die der AlchimistGeorg Honauer ausgesucht hatte, um dem Herzog Friedrich Gold zu machen, wobei er den Herzog um zwei Tonnen Goldes schädigte. Diesem Georg Honauer zu Lieb und Leid war der Galgen errichtet worden, schön rot angestrichen, auch mit Gold verziert und der Honauer daran gehenkt.
Ihm waren rasch hintereinander mehrere andere Alchimisten gefolgt, von denen sich Herzog Friedrich hatte betrügen lassen. Der erste war ein Italiener, Petrus Montanus. Ein Jahr darauf Hans Heinrich Neuscheler aus Zürich, der blinde Goldmacher genannt. Wieder ein Jahr später ein anderer Hans Heinrich, genannt von Müllenfels. Sein Glück hatte länger geblüht; er hatte sich oft lustig gemacht über die drei in freier Luft schwebenden Kunstgenossen; nun schwebte er wie sie. Dann wurde der Galgen lange nicht benützt. Bis ein Schmied aus der Grafschaft Öttingen auf den Gedanken kam, ihn sukzessive abzutragen und zu stehlen. Schon hatte er drei Stangen losgemacht und über sieben Zentner Eisen nächtlicherweile entwendet, als er gepackt und mit dem Instrument seines Verbrechens justifiziert wurde.
Über ein Jahrhundert seither war der eiserne Galgen leergestanden. Jetzt bestimmte Herr von Pflug, der das Arrangement der Exekution übernommen hatte, dem Juden als sechstem den Tod auf diese besondere Manier. Seit Beginn des Prozesses hatte der hagere, harte Mann darauf gewartet, seinem Haß dieses Fest zu rüsten. Jetzt wollte er es so feiern, daß Europa es nicht vergessen sollte.
Mit allen Raffinements des Schimpfes bereitete er die Hinrichtung vor. Die Geilheit des Juden, seine Fleischessünden, die Schändung christlicher, deutscher Frauen durch den beschnittenen Hund hatte ja leider, sehr gegen seinen Willen, in den Urteilsgründen keine Stelle finden dürfen. Jetzt bei der Exekution hatte er freie Hand. Er wird dem Juden seine Wollust und freche Luderei anstreichen. Nicht einfach am Galgen wird er ihn hängen lassen, nein, die wüste Tätigkeit seiner liederlichen Nächte mit populärem Wortspiel verhöhnend, in einem Vogelbauer.
Das Untersuchungsgericht ließ sich die solenne Vollziehung des Urteils etwas kosten. Auf dem Richtplatz, der Tunzenhofer Steige, auch Galgensteige genannt, der Prag zu gelegen, wurden komfortable Logen gebaut für die Kavaliere und Damen. Das Militär, das den Delinquenten eskortieren und die Absperrmaßnahmen durchführen sollte, übte seine Manöver ein. Der eiserne Galgen wurde
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