Jud Sueß
ein Berg von Gold. Stumm schaute der kleine, schiefe, schäbige Herzog, der massige Bilfinger. Dom Bartelemi Pancorbo reckte den entfleischten, blauroten Kopf aus der verschollenen Krause, seine dürren Finger streckten sich, krümmten sich, konnten nicht länger widerstehen, streichelten das Gold, das liebe Gold, badeten in dem endlosen Fluß. Isaak Landauer stand daneben in seinem schmierigen Kaftan, die Schläfenlöckchen ungekämmt, in unschöner, unselbstverständlicher Haltung, lächelte fatal, hielt den einen Oberarm eng am Körper, die Handfläche hochgehoben nach außen, mit der andern Hand strähnte er den rotblonden, verfärbten Ziegenbart.
Das Angebot Isaak Landauers wurde abgelehnt. Aber die Worte der alten Männer klangen nach in dem Herzog. Er war ungerecht! Er war gezwungen, vor seinem Sterben ungerechtzu sein. Nicht nur gegen den Süß, auch gegen die anderen Juden. Besitz packte ihn nicht, Gold rührte ihn nicht an. Aber diese Leute hingen daran. Gold, Gold! war ihr Leben und ihr Sinn. Und dennoch hatten sie freiwillig so ungeheuer reich gesteuert und gezinst, sein Unrecht abzuwenden. Seine Pflicht war klar: er mußte vornächst seinen Schwaben recht, also den Juden unrecht tun. Aber dieser Berg von Gold drückte ihn, scheuerte ihn wund.
In einem dringlichen Brief bat er den Herzog Karl Friedrich von Württemberg-Öls um seinen Besuch. Er war gewillt, diesem die Vormundschaft und Regentschaft abzutreten. Er hatte sein Bestes getan, das Land aus dem ärgsten Dreck herauszuziehen, er hatte es wohl erreicht. Gerechtigkeit! hatte er gesagt. Pflicht! Autorität! Aber es war nicht möglich, in diesen Läuften das Regiment nach solchen Prinzipien zu führen. Er hatte müssen zusehen, wie man die todeswürdigen Schelmen hatte laufen lassen, jetzt mußte er zusehen, wie man den Juden, trotzdem es unrecht war, aufhenkte. Er war einundsiebzig Jahre alt und müde. Er fühlte seine Leibes- und Geisteskräfte merklich schwinden. Es sei ihm beschwerlich, schrieb er dem Kaiser, erklärte er den Geheimräten, dem völligen Detail einer so verwirrten als wichtigen Regierung nach eigenem Wunsche genugsam abzuwarten. Er sehnte sich, der schiefe, schäbige, ehrliche Soldat, nach der bäuerlichen Ruhe seines kleinen, umblühten Neuenstadt, nach einem stillen Sterben.
Nachdem Süß sich bei der Verkündung des Urteils so frech und widerspenstig erwiesen hatte, wurde er im Herrenhaus, wo er bis zur Vollstreckung des Urteils bleiben sollte, kreuzweis geschlossen und ohne Nahrung den Tag über in ein kahles, vollkommen leeres Gelaß gesperrt. Er war, nach dem Ausbruch vor den Richtern, sogleich wieder still geworden, beschaute, lächelnd, kopfwiegend, Blut und Schmutz, mit dem er überdeckt war. Hockte, in den Fesseln verkrümmt, auf dem Boden an der Wand des leeren, nicht dunklenRaumes. Haman, der Minister des Ahasver, besuchte ihn; er hatte die Hakennase des Herrn von Pflug und seine harte, hochmütige Stimme. Goliath kam, haute ihn mit der Bewegung des Herrn von Gaisberg plump, jovial und schmerzhaft kräftig auf die Schulter. Andere kamen. Freundlichere, machten halb schwäbisch, halb hebräisch Konversation. Der treue Elieser-Pfäffle war da, Abraham feilschte in Gestalt Johann Daniel Harpprechts mit dem Herrn um Gerechtigkeit. Und die Menschen kamen, die zu Naemi gekommen waren. Jesaja, der Prophet, knurrte und sänftete mit der übellaunigen Stimme des Oheims. An dem reichen Haar hing Absalom im Geäst; doch das Haar war weiß und das Gesicht darunter sein eigenes.
Aber da kläffte es hinein, schepperte, bellte. Ach, das war wieder der Stadtvikar Hoffmann, die Segnungen der Augsburgischen Konfession anpreisend. Ja, der eifrige Seelsorger war wieder zur Stelle, er glaubte, jetzt sei der Braten weich und mürb genug. Doch Süß war durchaus nicht gestimmt, heute mit ihm zu disputieren. Diese grobe Stimme verdrängte die sanfteren um ihn. Still und ohne Hohn bat er, von ihm abzustehen; er wolle gern, lasse man nur von ihm ab, der evangelischen Kirche zehntausend Taler für ihre Bemühungen testamentarisch verschreiben. Hoffnungslos zog sich der ergrimmte Geistliche zurück.
Anderer, unerwarteter Besuch kam. Ein feiner, älterer Herr, Windhundschädel, schnuppernd, ganz unauffällig und sehr vornehm gekleidet. Der Vater der Herzogin Witwe, der alte Fürst Thurn und Taxis. Es hatte ihm keine Ruhe gelassen, es hatte ihn aus den Niederlanden hergetrieben. So ging das nicht, so konnte man den Süß nicht sterben lassen.
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