Julia Extra Band 357
entging wirklich überhaupt nichts. Und sie war ziemlich durchtrieben. Als Freunde an den Tisch kamen, um sie zu begrüßen, fragte sie doch tatsächlich: „Könntet ihr mich vielleicht mitnehmen, wenn ihr jetzt nach Hause fahrt? Dann können die jungen Leute noch ihr Dessert genießen. Weißt du, Barbara, es war ein langer Tag für mich. Ich bin die ganze Zeit auf den Beinen gewesen.“ Eben noch putzmunter und fröhlich gähnte Nana Jo jetzt herzhaft. „Neuerdings ermüde ich immer so schnell.“
Hatte Elizabeth sich getäuscht? Oder hatte Barbara ihre Freundin Jean tatsächlich unauffällig angestoßen? Nahm sie Josephine O’Keefe die Vorstellung auch nicht ab?
„Ich kümmere mich um die Rechnung.“ Thomas hob schon die Hand, um den Ober herbeizuwinken.
Seine Großmutter fing die Hand ab und drückte sie zärtlich. „Das ist lieb von dir, mein Junge, aber es kommt überhaupt nicht infrage. „Ihr bleibt zum Dessert. Der rote Samtkuchen, den das Paar da drüben sich teilt, sieht sehr verlockend aus.“ Besagtes Paar teilte sich nicht nur den Kuchen, sondern auch eine Gabel und fast auch einen Stuhl. Später würden sie sicher noch ganz andere Sachen teilen.
Nana Jo zwinkerte Thomas vergnügt zu. „Ich wünschte, ich wäre auch noch mal jung. Nicht nur, weil ich früher alles essen durfte, was ich wollte.“
„Wir bestellen zwei Stücke zum Mitnehmen“, beschloss Thomas. „Du bekommst was von meinem Stück ab. Du musst es deinem Doktor ja nicht auf die Nase binden.“
„Sehr großzügig, mein Junge, aber lieber nicht.“ Sie stand auf. „Ihr bleibt hier. Und lasst euch mit dem Heimweg ruhig Zeit. Ich nehme noch meine Herztabletten, wenn ich zu Hause bin, und lege mich dann gleich ins Bett. Warum macht ihr nicht noch einen Strandspaziergang im Mondschein?“
„Ich glaube, sie führt uns ganz schön an der Nase herum“, sagte Elizabeth, als sie mit Thomas allein am Tisch saß.
„Kann sein.“ Besorgt blickte er seiner Großmutter nach, die mit ihren Freundinnen gerade das Restaurant verließ. „Trotzdem mach ich mir Sorgen um sie. Immerhin ist sie schon einundachtzig.“
Und agiler als manche Frau, die halb so alt ist wie sie, dachte Elizabeth bewundernd. Doch das behielt sie für sich. Es rührte sie, wie Thomas sich um das Wohl seiner Großmutter sorgte.
Als der Ober wieder an ihren Tisch kam, bestellte Elizabeth sich ein Beerentörtchen und Kaffee, während Thomas sich für ein großes Stück roten Samtkuchen entschied.
„Beeren? Viel zu gesund“, flachste er.
„Für mehr ist kein Platz“, antwortete Elizabeth.
„Übrigens bin ich ganz begeistert von deinem Kleid. Und von den Schuhen“, sagte er und schaute ihr tief in die Augen. „Und habe ich schon erwähnt, dass ich die Nagellackfarbe sehr sexy finde?“
„Ja, hast du. Ich glaube, das Kleid würde Mel auch absegnen. Sie liegt mir schon seit einer ganzen Weile in den Ohren, neue Klamotten zu kaufen. Na ja, die Farbe findet sie auf alle Fälle gut, den Stil vielleicht etwas langweilig.“
„Ich bin froh, dass du deinen eigenen Stil hast. Und von langweilig kann keine Rede sein. Du und das Kleid habt meine volle Aufmerksamkeit.“
Elizabeth wünschte, er würde nicht mit ihr flirten. Die Grenze zwischen Wunschvorstellung und Realität wurde immer fließender.
Der Ober servierte den Kaffee und versicherte ihnen, die Desserts würden nicht mehr lange auf sich warten lassen.
„Es war sehr großzügig von deiner Großmutter, mir die Sachen zu schenken. Eine neue Handtasche konnte ich ihr gerade noch ausreden. Eigentlich ist es mir unangenehm, mich von ihr beschenken zu lassen. Vielleicht könnte ich einen Scheck auf dem Nachttisch im Gästezimmer deponieren, den sie erst nach unserer Abreise findet“, überlegte Elizabeth.
„Sie würde den Scheck zerreißen. Es war ihr eine Freude, dir ein Geschenk zu machen. Bitte nimm es einfach an!“
Widerstrebend gab Elizabeth nach. Gegen diese Familie war man machtlos. „Dann schicke ich ihr eben einen Blumenstrauß als Dankeschön.“
„So eine Geste würde ihr gefallen. Ihre Lieblingsblumen sind Lilien.“ Er trank einen Schluck Kaffee.
Elizabeth gab einen Schuss Sahne in ihre Tasse. „Mir passt es gar nicht, sie zu hintergehen, Thomas. Nachdem ich deine Großmutter nun kennengelernt habe, gefällt mir diese Täuschung noch weniger.“
„Dann kannst du dir ja ungefähr vorstellen, wie ich mich fühle.“
„Aber du belügst sie immer weiter.“
Thomas runzelte die Stirn.
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