Julia Extra Band 357
Sie hatte nur Kolleginnen, die sie genauso wenig interessierten wie die drei Anwälte, alle Männer mittleren Alters. Alle Gespräche im Büro drehten sich nur um Familie und alltägliche Dinge. Und obwohl sie die Plaudereien mit den Klienten schätzte, sehnte Ruby sich nach mehr Abwechslung.
Ihre verstorbene Mutter Vanessa hatte als junge Frau ein viel aufregenderes Leben geführt. Sie hatte als Model in London gearbeitet und war dort einem arabischen Prinzen aufgefallen, der sie kurz und heftig umworben und dann geheiratet hatte. So war sie, Ruby, in dem Land Ashur am Persischen Golf zur Welt gekommen. Ihr Vater Anwar hatte noch während der Ehe mit ihrer Mutter ein zweites Mal geheiratet, und das war das Ende einer Verbindung gewesen, die Vanessa immer als ihre „königliche Affäre“ bezeichnet hatte. Sie hatte die Scheidung eingereicht und war dann mit ihrer Tochter nach Großbritannien zurückgekehrt. Und da Töchter in Ashur weitaus geringer geschätzt wurden als Söhne, hatte Anwar nie den Kontakt zu ihr gesucht.
Vanessa, die eine hohe Abfindung erhalten hatte, hatte ein Jahr später Curtis Sommerton, einen Geschäftsmann aus Yorkshire, geheiratet, auch um sich über die gescheiterte Ehe hinwegzutrösten. In der Hoffnung, sie, Ruby, würde ihre Familie väterlicherseits so schneller vergessen, hatte Vanessa sie mit Curtis’ Nachnamen angesprochen. Dieser hatte sie in kurzer Zeit um ihr Vermögen gebracht und dann verlassen. Sie war über diese zweite Enttäuschung nie hinweggekommen und bald darauf einem Herzinfarkt erlegen.
„Ich habe den Fehler gemacht, mich von meinen Gefühlen mitreißen zu lassen“, hatte sie ihr oft gesagt. „Anwar hat mir den Himmel auf Erden versprochen und seiner zweiten Frau vermutlich auch. Also pass auf, dass du nicht auch auf solche Frauenhelden hereinfällst, mein Schatz!“
Ruby war allerdings intelligent und erfahren genug, um schnell zu merken, wann jemand sie ausnutzen wollte. Sie hatte ihre Mutter über alles geliebt und wollte sie als warmherzige, liebenswerte Frau in Erinnerung behalten, die Männern gegenüber etwas zu gutgläubig gewesen war. Ihr Stiefvater hingegen war ein Mistkerl gewesen, den sie gleichermaßen gehasst und gefürchtet hatte. Während ihre Mutter eine hoffnungslose Romantikerin gewesen war, hatte Ruby die Erfahrung gemacht, dass Männer in erster Linie Sex wollten. Genau wie viele andere vor ihm hatte Steve es geschafft, dass sie sich beschmutzt gefühlt hatte. Sie war fest entschlossen, sich nicht mehr mit ihm zu treffen.
Nach Dienstschluss ging sie zu Fuß zu dem kleinen Reihenhaus, das sie gemietet hatte. Auch in den Mittagspausen eilte sie immer dorthin, um schnell mit Hermione, ihrer Jack-Russell-Hündin, Gassi zu gehen. Diese war ihr Augapfel und mochte keine Männer. Mehr als einmal hatte sie sie vor ihrem Stiefvater beschützt, der sich nachts manchmal in ihr Zimmer geschlichen hatte.
Ruby wohnte mit ihrer Freundin Stella Carter zusammen, die als Kassiererin in einem Supermarkt arbeitete. Als Ruby vor dem Haus eintraf, sah sie überrascht eine dunkle Limousine mit Chauffeur davor parken. Kaum hatte sie den Schlüssel ins Schloss gesteckt, wurde die Tür aufgerissen.
„Endlich bist du da!“, rief Stella, die Wangen gerötet. „Drei Leute erwarten dich im Wohnzimmer“, fügte sie im Flüsterton hinzu.
Ruby krauste die Stirn. „Und wer sind Sie?“
„Sie haben etwas mit der Familie deines leiblichen Vaters zu tun“, erwiderte Stella leise.
Verwirrt betrat Ruby das Wohnzimmer, das mit den drei Gästen noch beengter wirkte. Ein kleiner, grauhaariger Mann lächelte sie strahlend an und machte eine tiefe Verbeugung. Die Frau mittleren Alters und der jüngere Mann, die ihn begleiteten, taten es ihm nach, und Ruby verfolgte das Ganze verblüfft.
„Königliche Hoheit“, sagte der ältere Mann dann beinah ehrfürchtig mit einem starken Akzent. „Es ist mir eine große Ehre, Sie endlich kennenzulernen.“
„Er redet die ganze Zeit davon, dass du eine Prinzessin bist“, raunte Stella ihr zu.
„Ich bin weder eine Prinzessin noch sonst irgendetwas Königliches“, verkündete Ruby amüsiert und verwundert zugleich. „Was soll das alles? Wer sind Sie?“
„Mein Name ist Wajid Sulieman, und das sind meine Frau Haniyah und mein Referent“, stellte der ältere Mann sich und seine beiden Begleiter vor. „Ich vertrete die Interessen der königlichen Familie von Ashuri und habe leider schlechte Neuigkeiten für Sie.“
Ruby
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