Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Geister
D ie Rüstung ruht, wie seit acht Jahren schon, ungenutzt auf ihrem Ständer. Der Junge steht am Eingang des Raums, betrachtet sie, ballt die Fäuste. Er hasst und liebt, was er da vor sich sieht.
Das Haus ist dunkel und still. Es ist groß genug für ein Dutzend Bewohner, doch der Junge lebt hier allein. Er ist der Sohn eines Samurai, daher kümmern sich die Bauern des Dorfs um ihn. Es fehlt ihm an nichts – das Haus wird geputzt, die Bäume im Garten werden beschnitten, die Böden geharkt, und in Truhen und Fässern steht jederzeit Essen und Trinken bereit. Doch er bekommt seine Hüter nie zu Gesicht. Sie haben Angst vor ihm und dem Haus. Es ist, als würde er von Geistern versorgt.
Der Junge heißt Bennosuke. Die Rüstung ist die seines Vaters. Sein Vater ist nicht tot, aber fort. In seiner Abwesenheit muss sie gepflegt werden, doch die Bauern dürfen nicht wagen, so etwas anzurühren. Daher obliegt diese Arbeit dem Jungen, und fast solange er denken kann, hat er sie getan. Er verneigt sich vor der Rüstung, wie er es vor ihrem Träger tun würde, und nähert sich ihr dann auf Knien, den Blick gesenkt.
Die Rüstung ist prachtvoll. Das Hauptstück besteht aus einem gewölbten, lackierten Brustpanzer in makellos glattem Schwarz. An Schultern und Taille sind zum Schutz der Arme und Beine große quadratische Platten angebracht. Schmale Lamellen aus Holz und Metall überlappen einander wie Fischkiemen, und ihre Schnüre sind in eine dicke hellblaue Stoffschicht eingenäht, die mit Gold- und Silberfäden bestickt ist.
Am eindrucksvollsten aber erscheint der Helm. Seine große kupferne Zierde, die Blättern und Schnurrhaaren von Fabeltieren nachgebildet ist, ragt in brüniertem Glanz von der Stirn empor. Die Helmschale ist mit verschlungenen Mustern versehen, in die winzige Glücks- und Siegesgebete eingraviert sind. Dieser Helm verlangt nach dem Haupt eines strahlenden Helden, doch stattdessen klaffen darunter nur Leere und Dunkelheit.
Als Bennosuke mit der Reinigung beginnt, spürt er, wie diese Dunkelheit in ihn hineinblickt. Seine Hände bewegen sich mit jahrelanger Übung, holen Schmutz und Staub aus den Ritzen der Rüstung hervor. Freiliegendes Metall reibt er mit edlen Ölen ein, und die Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Teilen, seien es Stahlbänder oder zähe Schnüre, prüft er auf ihre Festigkeit. Dann nimmt er ein Tuch und eine Dose Wachs und beginnt, den Brustpanzer zu polieren.
Das hasst er am meisten. Während seine Hände in kleinen Kreisen reiben, verwandelt sich der Lack zusehends in einen schwarzen Spiegel. Als sich der Junge darin zu sehen beginnt, wird er rot. Ein Schlaks von dreizehn Jahren, ist er schon jetzt so groß wie die Männer in seinem Dorf, doch bar jeder Anmut. Er wirkt unbeholfen, aber das ist es nicht, was ihn beschämt.
Sein Gesicht, sein Hals und auch der unter dem Kimono verborgene Leib sind mit roten Quaddeln und Schorf überzogen. Es wird nur deshalb nicht Aussatz genannt, weil er noch nicht daran gestorben ist und auch nicht daran sterben wird. Aber er weiß, dass dies der Grund für sein Alleinsein ist und die Bauern ihn deshalb fürchten. Manchmal stellt er sich vor, wie sie einem Leichenzug gleich sein Haus betreten, Tücher vor dem Gesicht und Weihrauch verbrennend, während sie eilig ihre Aufgaben versehen.
Das Spiegelbild des Jungen wird durch den runden Bauch der Rüstung zudem verzerrt, es ist, als würde es ihn verhöhnen. Er träumt davon, diese Rüstung zu tragen, doch was er darin gespiegelt sieht, zeigt ihm, dass es niemals dazu kommen kann. Dennoch träumt er weiter, denn sein größter Wunsch ist es, ein Samurai zu werden. Voller Furcht sehnt er den unbekannten Tag herbei, an dem sein Vater endlich heimkehrt. Er stellt sich den Mann, der ihn unterrichten wird, als starken, stolzen Krieger vor, als einen Liebling des Lichts, und weiß doch, dass der Samurai, der einst diese Rüstung trug, angewidert wäre von der jämmerlichen Gestalt, in die sein Erbe sich verwandelt hat.
Der Junge spürt sein Gesicht vor Scham glühen, spürt die ganze Zerrissenheit in seinem Herzen, poliert aber weiter. Er hasst diese Arbeit, weiß jedoch, dass sie zu seinen Pflichten zählt und gewissenhafte Pflichterfüllung der erste Grundsatz eines Samurai ist. Beharrlich reibt er in Spiralen über den Lack, bis er fertig ist. Anschließend faltet er das Tuch zusammen, rutscht auf Knien wieder zurück und verneigt sich noch einmal, wobei seine Stirn die Binsenmatte
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