JULIA FESTIVAL Band 89
verpasst. Das werde ich noch bitter bereuen.“
„Wieso?“
„Anscheinend hast du nicht so eine Familie wie ich. Alle sind laut, neugierig und versuchen, mich herumzukommandieren. Der anstrengendste Arbeitstag könnte nicht schlimmer sein.“
„Nein, so eine Familie habe ich nicht.“ Tys Blick war unergründlich. „Ehrlich gesagt, habe ich überhaupt keine Familie.“
Nein, sagte sich Nicole, ich werde kein Mitleid empfinden.
„Es tut mir wirklich leid.“ Seine Stimme war jetzt sehr sanft, und er strich ihr behutsam übers Kinn. „Lass dich von meiner miesen Laune nicht verscheuchen.“
„Ich muss jetzt wirklich los.“
„Eigentlich hätte ich dich nie für einen Feigling gehalten.“
Sie stieß ihn mit dem Finger vor die Brust. „Nimm das zurück!“ Niemand bezeichnete sie als Feigling! Niemand! Leider spürte sie viel zu intensiv das Heben und Senken seiner Brust, und sofort war sie mit ihren Gedanken wieder ganz bei Tys Körper.
Ty musste lächeln, als Nicole aufhörte, ihn gegen die Brust zu stoßen, und stattdessen mit dem Finger sanfte Kreise beschrieb.
„Ich werde nicht mit dir schlafen“, verkündete sie, fuhr aber gleichzeitig mit dem Fingernagel so sinnlich über seine Brustwarzen, dass Ty aufstöhnte. „Nein, das werde ich nicht.“
„Was hast du nur für schmutzige Gedanken.“ Er erschauerte, als sie fortfuhr, seine Brustwarzen zu streicheln.
„Und du? Hast du nicht einmal flüchtig daran gedacht?“ Nicole genoss es, ihn zu berühren, und ihre Stimme war nur noch ein raues Flüstern.
„Du hast auf jeden Fall daran gedacht.“
„Ich kann dich begehren und trotzdem Abstand halten.“
„Ach, wirklich?“
„Du wirst schon sehen.“ Sie wandte sich zur Tür, drückte die Klinke herunter und zögerte. „Ist mit dir auch alles in Ordnung?“
„Wieso fragst du?“
„Wegen dieser E-Mail.“ Nicole blickte ihn über die Schulter an, aber Ty ließ sich nicht anmerken, was in ihm vorging.
„Mach dir um mich keine Sorgen, Darling.“
Anscheinend macht sich niemand um ihn Sorgen, dachte Nicole. Wie konnte es Menschen geben, die niemandem etwas bedeuteten? Ihre Familie war zwar sehr nervig, aber sie waren immer für sie da. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es wäre, völlig allein zu sein.
„Ich kann es förmlich sehen, wie du dir den Kopf zerbrichst, Frau Doktor.“
„Ich habe mich gerade gefragt, wie es kommt, dass du so allein bist. Was ist mit deiner Familie passiert?“
„Persönliche Fragen und das von dir?“ Sein Lächeln wirkte etwas gezwungen. „Pass auf, wir machen das so: Für jede deiner Fragen darf ich dir auch eine stellen. Also los: Wie kommt es, dass du, obwohl du so schön und sexy bist, nervös wirst, weil wir uns gegenseitig erregen?“
Sie war schön und sexy? So würde sie sich nicht bezeichnen. Klug und intelligent, ja. Aber sexy? Dieser Mann brauchte eine Brille. Dabei hatte sie das Gefühl gehabt, dass seine wundervollen blauen Augen tadellos funktionierten.
Nicole öffnete die Tür und hörte Ty hinter sich lachen.
„Lass mich raten: Du musst zur Arbeit?“
„Genau.“
Nicole fuhr nach Hause. Sie hätte gedacht, dass sie die ganze Zeit über noch Tys spöttisches Lachen im Ohr haben würde. Stattdessen dachte sie über einen Charakterzug nach, den sie bei Ty Patrick O’Grady niemals vermutet hätte: Verletzlichkeit.
Ty arbeitete während der nächsten paar Tage, als würde er von einem Dämon verfolgt. Und so ungefähr war es auch.
Der Dämon war weiblich und hieß Dr. Nicole Mann.
Doch Ty war es gewohnt, nicht auf seine Gefühle zu achten, und genau das tat er auch jetzt.
Deshalb konnte er es sich nicht erklären, wieso er öfter zu Taylors Haus fuhr, als eigentlich nötig war. Auch heute wieder, drei Tage nach dem Kuss, war er am späten Nachmittag erneut dort.
Es war wirklich ein unglaublicher Kuss gewesen. Ty sehnte sich nach einem zweiten dieser Art. Er wollte Nicole spüren, wollte erneut erleben, wie sie sich an ihn schmiegte und schwach wurde vor Verlangen. Er sehnte sich nach ihrer Nähe und ihrer Wärme.
Seltsam, dachte er und kannte sich selbst nicht wieder. Denn eigentlich wollte er am liebsten überhaupt nichts für sie empfinden.
Taylor fing Nicole ab, als sie sich gerade nach einem langen Arbeitstag in ihr Apartment unterm Dach schleichen wollte.
„Hallo, komm doch einen Moment herein.“
„Also ich …“ Wie immer beim Nachhausekommen dachte Nicole nur noch an ihr Bett. In zehn Minuten wollte sie
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