JULIA FESTIVAL Band 89
umgeben. Suzanne wusste genau, dass sie sich die Miete für ein Apartment in einem dieser Häuser auf keinen Fall leisten konnte, doch darum ging es ihr auch gar nicht. Sie wollte der Welt lediglich beweisen, dass sie es schaffen konnte. Sie würde ihr Leben in den Griff bekommen und von nun an keinen Mann mehr am Boden zerstört zurücklassen.
Mit siebenundzwanzig Jahren konnte man das längst von ihr erwarten. „So, dann wollen wir mal“, sagte sie zu dem alten Haus und betrat den schmalen Weg, der durch einen kleinen Vorgarten zum Eingang führte.
Im Erdgeschoss hatte sich früher sicher einmal ein Geschäft befunden, stellte sie fest, als sie die zwei großen Schaufenster zur Straße hin bemerkte, die jetzt allerdings von dem hohen Unkraut, das davor wuchs, halb verdeckt waren.
Das Apartment konnte also höchstens im zweiten oder dritten Stock liegen. Noch während sie hochblickte und sich fragte, ob sie sich womöglich in der Hausnummer geirrt hatte, begann eine der großen Eichen, die das Haus umstanden, zu zittern.
Der Baum erzitterte immer stärker.
Im nächsten Augenblick fiel ein Mann aus den Ästen und landete nicht unweit von ihr auf dem Rasen. Nicht irgendein Mann, sondern ein großer, dunkelhaariger mit schlankem, muskulösem Körper.
Er richtete sich auf und sah in die Krone des Baums hinauf. Dann legte er beide Hände flach gegen den Baumstamm und … drückte?
Suzanne sah fasziniert zu, wie sich seine Rückenmuskeln dabei anspannten. Sie schaffte es einfach nicht, den Blick von ihm abzuwenden.
Dieser Mann wirkte ungemein attraktiv. Suzanne bekam einen trockenen Mund und musste schlucken.
Seine langen, kräftigen Beine steckten in ausgewaschenen Jeans, und das weiße T-Shirt saß ihm eng am Oberkörper. Er sah nicht unbedingt aus wie ein mit Muskeln bepackter Bodybuilder, was sie auch immer übertrieben fand, sondern eher wie ein großer, geschmeidiger Boxer.
Was geht es mich an, wie er aussieht, dachte sie missmutig. Sie war doch mit den Männern fertig. Ein für alle Mal. Noch ein Opfer würde ihr Gewissen nicht verkraften.
Dennoch stand sie mit offenem Mund da und beobachtete ihn, wie er mit aller Kraft gegen den Baum drückte.
Plötzlich drehte er ihr den Kopf zu und lächelte sie an. „Tut mir leid, wenn ich Sie vorhin erschreckt habe“, sagte er, bevor er sich bückte und ein Notizbuch aufhob, das ihm bei seinem Sprung aus der Hosentasche gefallen war. Suzannes Blick heftete sich automatisch auf seinen festen Po.
Hör auf damit, ihn so anzustarren, ermahnte sie sich.
Nachdem der Mann sich etwas notiert hatte, ging er leise vor sich hin pfeifend ins Haus.
Was hatte er gesagt? Hatte er sich entschuldigt? Warum? Dass er wie Tarzan aus der Baumkrone gesprungen war?
Zum Glück ahnte er nicht, dass er sie mehr zum Beben gebracht hatte als diese Eiche. Entschlossen hob sie das Kinn, verdrängte den Gedanken an den Mann und betrat nach ihm das Haus.
„Hallo?“ Das Echo ihrer Stimme verhallte im Treppenhaus. Anscheinend war sie allein. Kein toller Baumkerl weit und breit.
Sie lief in den ersten Stock hinauf, und als sie vergeblich die beiden einzigen Türen zu öffnen versuchte, hörte sie Stimmen aus dem zweiten und letzten Stock. Also ging sie eine Treppe höher.
Oben angekommen, stellte sie fest, dass es hier nur ein Apartment gab. Sie betrat einen staubigen leeren Raum, anscheinend das Wohnzimmer. Dieses Zimmer war klein, doch das Fenster zeigte zur Straße und bot einen reizvollen Ausblick. Die Nachmittagssonne beschien den Holzfußboden, und Suzanne erkannte sofort, dass man dieses Apartment geschmackvoll einrichten konnte.
Die Küche war lediglich durch eine Theke abgetrennt, und daher sah Suzanne auch sofort den Mann und die Frau, die dahinter standen und sich tief über einen Plan beugten. Die Frau blickte hoch, als sie Suzannes Schritte hörte.
Sie war ungefähr in Suzannes Alter, aber damit hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Die Frau hatte ihr wundervoll schimmerndes blondes Haar straff zurückgekämmt und am Hinterkopf kunstvoll hochgesteckt. Wenn Suzanne versuchte, ihr schwer zu bändigendes Haar so zu frisieren, kugelte sie sich dabei fast immer die Arme aus. Die Frau war perfekt geschminkt und elegant gekleidet. Sie wirkte in diesem staubigen Apartment so deplatziert wie eine Prinzessin im Kuhstall.
Suzanne fragte sich gerade, wieso ihre eigene Kleidung immer so schnell zerknitterte, selbst wenn sie vollkommen still dastand, als auch der Mann
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