Julia Gold Band 0045
der kurz bevorstehenden standesgemäßen Heirat eher glücklich und in gehobener Stimmung zu sehen.
Leah seufzte und beschloss, nicht mehr über die Sache nachzudenken, denn wenn tatsächlich etwas nicht in Ordnung war, konnte sie es sowieso nicht ändern. Als arabische Prinzessin war Samira in der Tradition des Landes erzogen und auf diese Art der Eheschließung vorbereitet worden, sodass die Hochzeit für sie keine Überraschung war.
Leah hatte gelernt, sich nicht in die Angelegenheiten der königlichen Familie einzumischen. Man behandelte Leah zwar wie ein Familienmitglied, sie war sich aber trotzdem bewusst, dass dies nur deshalb geschah, weil sie sich entsprechend verhielt und ihren Job zur Zufriedenheit aller ausübte. An diesem Nachmittag hatte sie auf ihre innere Stimme gehört und sich von Samira ferngehalten. Falls wirklich etwas schiefgehen würde …
Auf dem kleinen Tisch neben sich hatte Leah Stränge verschiedenfarbiger Wolle liegen, die sie zum Sticken brauchte. Und vor ihr stand der Rahmen mit dem Wandteppich, an dem sie arbeitete. Nachdem sie die Sorgen um Samira verdrängt hatte, beeilte Leah sich, das restliche Stückchen des dunkleren Vordergrunds rasch zu beenden, damit sie mit den nackten Frauengestalten beginnen konnte.
„Miss Leah Marlow?“
Beim Klang der sanften männlichen Stimme, die bestimmt nicht ihrem Bruder gehörte, fuhr Leah zusammen. Aber kein anderer Mann hatte das Recht, in ihre Privatsphäre einzudringen. Deshalb drehte sie sich erstaunt und leicht unwillig zu dem bogenförmig gewölbten Eingang um, der den einzigen Zugang zum Garten bildete.
Sie bekam Herzklopfen, als sie den Mann erblickte, der dort stand, begleitet von zwei Leibwächtern mit automatischen Gewehren in den Händen.
Leah war sein Bild in den Zeitungen aufgefallen, und sie hatte ihn schon bei Fernsehinterviews gesehen. Dank seiner charismatischen Ausstrahlung vergaß man ihn so schnell nicht mehr. Es war durchaus verständlich, dass er nun anstelle seines Onkels, der ein schwacher Herrscher gewesen war, das Land regierte. Trotz seiner einfachen Kleidung, er trug ein braunes Gewand und einen weißen Turban, zweifelte Leah nicht an seiner Identität.
Er war Sharif al Kader, der Scheich von Zubani und der Mann, den Samira am nächsten Tag heiraten sollte.
Leah konnte sich sein überraschendes Auftauchen in ihrem Garten nicht erklären. Sie war jedoch unfähig, irgendetwas zu tun oder zu sagen. Stattdessen blickte sie ihn nur unverwandt an. Vielleicht lag es an der völligen Stille um sie her oder an der flimmernden Nachmittagshitze: Auf einmal hatte Leah das Gefühl, die ungeheuer starke Vitalität dieses Mannes sei auf sie übergegangen, und mit der heiteren Gelassenheit, die sie sich zugelegt hatte, war es vorbei. Sie erkannte sich selbst kaum wieder, denn noch niemals zuvor hatte ein Mann so eine starke Wirkung auf sie ausgeübt. Nach der für alle Beteiligten ziemlich nervenaufreibenden Scheidung ihrer Eltern hatte Leah Männern sowieso keinen Platz in ihrem Leben eingeräumt, außer natürlich ihrem Bruder.
„Miss Leah Marlow?“
Die mit sanfter Stimme wiederholte Frage drang langsam in Leahs Bewusstsein. Und mit einem Mal war die eigenartig unwirkliche Atmosphäre um sie her wie weggeweht.
„Ja, Exzellenz?“, erwiderte Leah und benutzte die formelle Anrede, die einem Mann seines Standes zukam.
„Lassen Sie sich nicht stören, Miss Marlow. Bleiben Sie ruhig sitzen“, meinte er, als Leah aufstehen wollte. Dann kam er ohne die Leibwächter auf sie zu.
Leah folgte seiner Aufforderung gern, denn ihr bebten die Hände leicht, als sie die Nadel in dem Material feststeckte. In ihrem bequemen Sessel fühlte sie sich etwas sicherer. Sie war sich der Anziehungskraft dieses Mannes so sehr bewusst, dass sie sich ziemlich verletzlich fühlte.
Ihr Instinkt hatte sie also nicht getrogen, der Scheich hatte sie beobachtet. Leah hatte ihn nicht kommen gehört und wusste deshalb auch nicht, wie lange er sie betrachtet hatte und was das alles bedeutete. Es war Leah völlig unbegreiflich, warum der Scheich von Zubani so ohne Weiteres in ihre Privatsphäre eingedrungen war, was auch gar nicht dem sonst üblichen Protokoll entsprach. Es musste einen wichtigen Grund geben, weshalb er so lautlos und ohne Vorankündigung zu ihr gekommen war.
Leah bemühte sich verzweifelt, den inneren Aufruhr und das heftige Pochen ihres Herzens zu ignorieren. Sie hielt den Blick gesenkt, während der Scheich um den Brunnen ging und
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