Jung, sexy und beliebt
polierten Spiegel über der antiken Eichenkommode, strich das weiße Jill-Stuart-Top glatt und rückte den zitronengelben Tocca-Faltenrock zurecht. Sie hatte im Sommer ein paar Pfund abgenommen und jetzt rutschte der seitliche Reißverschluss immer nach vorne. Callie war jetzt richtig schlank, vielleicht sogar ein bisschen zu dünn, und den Sommer über war sie sommersprossig geworden. Ihre Haare waren lang und trendig unfrisiert und ihre runden haselnussbraunen Augen wurden von dichten Wimpern mit blonden Spitzen beschattet. Sie spitzte die Lippen, warf sich im Spiegel einen Luftkuss zu und verspürte ein beklommenes Flattern in der Brust.
Den ganzen Sommer über hatte sie sich den Kopf zerbrochen, warum Tinsley rausgeworfen worden war, sie selbst und Brett jedoch nicht. Hatte Brett das so gedeichselt? Brett machte um ihr Privatleben daheim ein großes Geheimnis – ihre Mutter und ihr Vater kamen nie zum Elterntag und Brett lud nie jemanden auf ein langes Wochenende zu sich nach Hause in East Hampton ein.
Tinsley hatte mal angedeutet, dass es in Bretts Familie irgendwas gab, worüber niemand was erfahren sollte. Konnte Brett es tatsächlich so hingedreht haben, dass Tinsley rausgeschmissen wurde, damit die ihre Geheimnisse nicht ausplauderte? Das klang total nach Seifenoper, aber Brett benahm sich manchmal so melodramatisch, dass Callie es ihr glatt zutraute.
Callie machte es sich auf ihrem Schreibtischstuhl bequem. Sie war doch tatsächlich froh, wieder in der Schule zu sein. Zusätzlich dazu, dass sie nichts von ihren zwei besten Freundinnen gehört hatte – und zwar von keiner der beiden auch nur einen Mucks -, war ihr Sommer eine Katastrophe gewesen. Erst war im Atlanta Magazine ein Foto von ihr aus dem Compound Club erschienen, wie sie mit einem Wodka Martini in der Hand auf dem Tisch tanzte. Die Bildunterschrift lautete: Abgefüllt und hemmungslos: Benimmt sich so die minderjährige Tochter einer Gouverneurin? Unnötig zu sagen, dass die Geschichte in Georgia bei den konservativen Wählern ihrer Mutter gar nicht gut angekommen war.
Nach diesem Albtraumerlebnis war Callie nach Barcelona in die Villa ihrer Eltern geflogen – ihr Vater war spanischstämmig und den Sommer über damit beschäftigt, in Europa mit Immobilien zu handeln. Sie hatte gehofft, dass Barcelona die perfekte Kulisse für ein romantisches Treffen mit ihrem Freund Easy Walsh sein würde. Aber der Besuch war alles andere als romantisch gewesen. Eher extrem abtörnend.
»Hey«, sagte eine belegte Stimme hinter ihr.
Callie fuhr auf und wirbelte herum. Easy. Da stand er mit seinen einsfünfundachtzig und im üblichen Grunge-Look unter der Tür und sah anbetungswürdiger aus denn je.
»Hey!« Sie spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden.
»Wie geht’s denn so?«, fragte er und zupfte an dem ausgefransten Saum seines Poloshirts. Sein glänzendes, fast schwarzes Haar ringelte sich im Nacken und um die Ohren.
Katastrophal wäre wohl die angemessene Antwort gewesen. Als sie Easy das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie ihn zum Flughafen von Barcelona gebracht. Sie hatten sich keinen Abschiedskuss gegeben und an diesem letzten Tag seines Besuchs kaum miteinander geredet.
»Gut«, sagte sie zögernd. »Wie bist du hier reingekommen? Hat Angelica dich gesehen?« Angelica Pardee, ihre Wohnhausaufsicht oder Hausmutter, wie sie auch genannt wurde, achtete sehr darauf, dass Jungs nur in der »Besuchszeit«, die aus einer einzigen Stunde zwischen Sporttraining und Abendessen bestand, in die Mädchenhäuser kamen.
»Du bist viel zu dünn«, sagte Easy leise und überging Callies Fragen.
Callie verzog das Gesicht. »Willst du gleich am ersten Schultag Zoff?«
»Dein Busen wird auch immer kleiner«, fuhr er ungerührt fort.
»Oh Gott«, murmelte sie. Um ehrlich zu sein, hatte sie den ganzen Sommer über keinen Appetit gehabt – nicht mal auf die typische Paella aus Barcelona, ihr Lieblingsessen. Sie war zu durcheinander gewesen, um zu essen oder um überhaupt irgendetwas zu tun. Die letzten paar Wochen in Spanien hatte sie auf dem Sofa rumgehangen wie ein formloses Bündel, mit nichts an als ihrem alten weißen Dior-Bikini und einem zerschlissenen Batik-Sarong, den sie für ein paar Euro auf einem Markt in Barcelona erstanden hatte. Stundenlang hatte sie spanische Soaps geguckt. Dabei konnte sie nicht mal viel Spanisch. »Was machst du denn schon so früh hier?«
Normalerweise traf Easy mit vornehmer Verspätung zum Einchecken in Waverly ein
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