Jungs auf Skype - Körzdörfer, B: Jungs auf Skype
wohnung aus. meine mutter ist in der küche. sie hat sich heute freigenommen
Victor: ich musste es tun. ich habe deinen vater in seiner werkstatt angerufen und ihm gesagt, dass du es weißt. ich hoffe, das war ok
Jens: gut, dann ist es eben raus. aber ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. ich habe ihn angeschrien. habe ihm ins gesicht gesagt, dass er mir meinen richtigen vater weggenommen hat. ich will ihn nicht wiedersehen!
Victor: wer ist denn dein richtiger vater?
Jens: er ist tot!
Victor: tot? bist du sicher?
Jens: tot für mich …
Victor: was heißt das nun wieder? läuft er noch herum oder liegt er unter der erde?
Jens: er läuft rum. und rate mal wo: in berlin!
Victor: berlin!? my lovely mister singing club. das nenne ich zufall!
Jens: ob zufall oder nicht, es ist mir egal, wo er wohnt. er interessiert mich nicht. er wollte mich nicht haben. als meine mutter ihm gesagt hat, dass sie schwanger ist, hat er sie verlassen. hat uns einfach alleinegelassen und sich nie wieder blicken lassen
Victor: willst du nicht wissen, wer er ist? warum er sich ausgerechnet um dich, den genialsten typen, den ich je getroffen habe, nicht gekümmert hat? willst du ihm nicht in die augen sehen? wenn du willst, kümmere ich mich drum. ich suche ihn und sage ihm, dass er diechance auf einen megasohn vergeigt hat. ich werde ihm sagen, was für ein super-idiot er ist!
Jens: ich weiß gar nicht, wo er wohnt. und berlin hat über 3 mio einwohner. könnte schwierig werden, dort einen bestimmten super-idioten zu finden …
Victor: deine mutter muss doch wissen, wie er heißt und wo er wohnt. frag sie einfach!
Jens: vergiss es
Victor: hab was im netz gefunden u kopiert: sido redet auch nicht mehr mit seinem vater!
Sido: der Mensch hinter der Maske
Mein Vater weiß nicht, wer ich bin
DEUTSCHLANDS ERFOLGREICHSTER RAPPER PACKT AUS: SIDO ERZÄHLT VON SEINER JUGEND IM GHETTO, WARUM ER KRIMINELL WURDE UND WAS ER VON SEINEM VATER HÄLT
VON KAI FELDHAUS, JULIAN REICHELT UND DANIEL BISKUP (FOTOS)
Berlin-Kreuzberg, der Punk-Club SO 36, irgendwann Mitte der 90er. Ein Talentabend. Junge Rocker reißen an Gitarren, junge Punks grölen in die Mikros. Dann treten zwei schmächtige Jungs auf die Bühne, Kappen auf dem Kopf, die Hosen viel zu weit: Sido und sein Kumpel B-Tight. „Wir haben da unser Hip-Hop-Ding gemacht”, erinnert sich Sido, „das kam nicht so gut an. Aber meine Sprüche fanden die ganz gut.” Das Märkische Viertel, Berlin-Reinickendorf. In Amerika sagt man „Ghetto”, in Deutschland „Großwohnsiedlung”: 35 000 Einwohner auf 3 Quadratkilometern. Hochhäuser mit zehn, zwölf, 16 Stockwerken.
Sido sagt „das Viertel”, wenn er die Gegend meint, in der er aufgewachsen ist. Er hat die Buchstaben „MV” auf die Hand tätowiert, „MV” wie „Märkisches Viertel”. Wo Knackis Knasttränen tragen, trägt er die Initialen seiner Herkunft. Sido: „Ich bin gut behütet aufgewachsen, aber in der falschen Gegend.”
Sido hieß noch Paul und war drei Jahre alt, da warf die Mutter den Vater raus. Fortan zog sie den Jungen und seine kleine Schwester allein auf.
Sido: „Meine Mama war Altenpflegerin im Schichtdienst, knüppelharte Arbeit. Sie ist eine sehr starke Frau, hat mir alles möglich gemacht. Im Winter hat sie mir warme Klamotten gekauft und selbst ist sie mit nackten Füßen in die Schuhe geschlüpft.”
Eine arme, eine glückliche Kindheit. „Im Viertel waren wir alle gleich. Da hatte keiner teure Klamotten. Wir haben alle nur 50 Pfennig bekommen, um uns was zu essen zubesorgen.” Seinen Vater sah er nur ein einziges Mal wieder: An seinem 13. Geburtstag besuchte Sido ihn.
Sido: „Der hat mir in Unterhose und Unterhemd die Tür aufgemacht, war völlig verwirrt. Ich war total enttäuscht: Der sieht zehn Jahre lang seinen Sohn nicht, und dann das. Ich hatte danach nicht das Bedürfnis, ihn noch mal wiederzusehen.”
Das hielt er durch, bis heute. Sido weiß nicht, ob sein Vater noch in Berlin lebt. Oder ob er überhaupt noch lebt. Sido: „Auch wenn ich jetzt berühmt bin: Mein Vater weiß gar nicht, wer ich bin. Der kennt mein Gesicht gar nicht. Ich glaube nicht, dass der sich für meine Musik interessiert.”
Jens: siehst du? was ist, wenn mir das gleiche passiert, wenn ich meinen vater zum ersten mal sehe. warum sollte ich sidos fehler wiederholen? ich will ihn nicht sehen, klar?
***
Victor: hey, lust auf ne
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