Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)
KAPITEL EINS
Cloisters
Essex County, New Jersey
Der großartige Elmore Leonard hat gesagt, man sollte eine Geschichte niemals mit dem Wetter anfangen lassen. Das ist schön und gut – und leicht gesagt, Mr Leonard. Ihre Anhänger werden es sich brav in ihre Moleskine-Notizbücher geschrieben haben. Trotzdem beginnt eine Geschichte manchmal mit dem Wetter, und dann ist ihr scheißegal, was irgendein legendäres Genre-Genie empfiehlt, auch wenn es sich um den großen EL handelt. Fängt also alles mit dem Wetter an, sollte es auch am Anfang stehen, sonst dröselt sich plötzlich alles auf, die Einzelteile fliegen einem nur so um die Ohren, und man hat keine Ahnung mehr, wie man sie wieder zusammenbekommt.
Sie dürfen also mit folgenschweren meteorologischen Bedingungen gleich im ersten Kapitel rechnen, und kämen Kinder und Tiere vor, wären sie auch mit von der Partie – scheiß auf den ewig gestrigen Kerl mit Zigarre und Schielauge aus dem Kino. Die Geschichte ist so, wie sie ist.
Und da sie nun mal so ist, fangen wir einfach damit an:
Ich liege mit einer wunderschönen Frau im Bett und betrachte, wie das morgendliche Sonnenlicht ihr blondes Haar glänzen lässt, ihm eine Art glühenden Heiligenschein verleiht, und zum zigsten Mal denke ich, dass ich dem Glück wahrscheinlich nie wieder so nah sein werde und ihm in diesem Moment bereits sehr viel näher bin, als ich es eigentlich verdient hätte – nach all dem Blut, das ich in meinem Leben schon vergießen musste.
Die Frau schläft, was ehrlich gesagt die beste Zeit ist, um sie zu betrachten. Sofia Delano lässt sich nicht gerne anstarren, wenn sie wach ist. Ein beiläufiger Blick geht in Ordnung, aber fünf Sekunden später machen sich bereits ihre Unsicherheiten und Phobien bemerkbar, und plötzlich hat man es mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Besonders dann, wenn sie mal wieder ihr Lithium nicht genommen hat.
Dabei war Sofia ursprünglich frei von Psychosen. Sie wurden ihr regelrecht angezüchtet. Noch im Teenageralter heiratete sie Carmine Delano, der sie schlug und ihre psychischen Defekte so lange kultivierte, bis sie Symptome von Schizophrenie und Demenz sowie eine bipolare Persönlichkeitsstörung entwickelte. Carmine, ihr Prinz, dachte: Leck mich am Arsch, besorgte sich ein Ticket irgendwohin, Hauptsache weit weg, und ließ seine junge lädierte Frau zu Hause sitzen, wo sie sich fortan nach ihm verzehrte. Seither ward er nicht mehr gesehen. Kein Pieps, kein Mucks.
Und niemand verzehrt sich so intensiv wie Sofia Delano. Wäre es eine Kunstform, wäre Sofia Picasso. Die einzige Ablenkung, die sie sich gönnte, bestand darin, den Mieter der Wohnung unter ihrer eigenen zu schikanieren. Zufällig war ich das. Vor sechs Monaten tat ich ihr einen recht armseligen Gefallen im Haushalt, und zack, schon war sie überzeugt, ich sei ihr verschollener Ehemann, der seit zwanzig Jahren nicht mehr auf der Bildfläche aufgetaucht war. Zum letzten Mal richtig glücklich war Sofia, als sie und Carmine Ende der achtziger Jahre zusammenkamen, und so ist sie in diesem Jahrzehnt steckengeblieben. Ihre Madonna-Aufmachung ist ziemlich heiß, und als Cyndi Lauper ist sie umwerfend, nur ihre Chaka Khan könnte ehrlich gesagt noch optimiert werden.
Einmal haben wir miteinander geknutscht, aber weiter kann ich guten Gewissens unmöglich gehen. Ich weiß, dass es bei Pärchen durchaus verbreitet ist, so zu tun, als wäre man mit einer ganz anderen Person zusammen, doch sobald einer von beiden wirklich daran glaubt, dürfte mehr im Busch sein, davon bin ich fest überzeugt. Aber küssen ist okay, oder?
Und meine Herren, die kann vielleicht küssen! Als würde sie mir das Pochen direkt aus dem Herzen saugen. Und ihre Augen? Groß und blau, mit viel zu viel Kajal umrahmt. Früher sind Männer für solche Augen in hohle Holzpferde geklettert.
Einmal habe ich mit der Hand ihren Busen gestreift, aber das war keine Absicht, ehrlich. Ich glaube, manchmal weiß sie, wer ich bin. Am Anfang war ich wohl Carmine, aber jetzt … Ich glaube, es gibt einen Hoffnungsschimmer.
Wenn ich also so verflucht edelmütig bin, wie kommt es dann, dass ich jetzt mit dieser verblendeten Frau im Bett liege? Erstens: Sie können mich mal mit Ihrer schmutzigen Phantasie. Und zweitens: Ich liege auf der Decke, und Sofia kuschelt sich darunter. Zum ersten Mal seit sechs Monaten bin ich über Nacht geblieben, weil wir uns gestern Abend eine Flasche Rotwein (dessen Tanningehalt einen Elefanten
Weitere Kostenlose Bücher