Kaktus zum Valentinstag
können.
Das Studium war über weite Strecken reine Urlaubszeit, vor allem in der sogenannten vorlesungsfreien Zeit, die ich immer als Semesterferien gesehen habe und nicht als Zeit für lästige Praktika oder Lernen. Ich brauchte die Zeit, um mich von den Menschen und ihrem Gehabe zu erholen. Das gelang mir immer am besten, wenn ich irgendwo auf den Straßen der Welt unterwegs war oder Vulkane bestiegen habe.
Es mag paradox klingen, aber ich studierte gerade dadurch sehr schnell und effektiv, weil ich vier Monate Ferien im Jahr hatte! Wieder einmal zeigte sich, dass nur ich selbst wusste, was für mich gut war und was nicht. Alle warnten mich davor, so viel Urlaub zu machen, ich würde ja nie fertig mit dem Studium. Wäre ich diesen Ratschlägen gefolgt, wäre ich noch lange nicht fertig, sondern hätte mich im Frust festgefressen.
Da das mit der Liebe in Clausthal ja erst mal nichts geworden ist und mir auch niemand einen wirklich attraktiven Job angeboten hat, entscheide ich mich, einen Kindheitstraum zu verwirklichen: Ich will das Ende der Gleise vom klengschrankenden Bahnübergang erleben. So steige ich in Peine in den Zug. Motto: Go East.
Was für ein herrliches Konzert, das bei Marienborn östlich von Helmstedt beginnt: Rattatta-klack-klack – Rattatta-klack-klack. So geht das bis nach Berlin und immer weiter und weiter – Warschau – Brest – Minsk – Moskau – Jaroslawl – vorbei an den vielen Schranken-Babuschkas, die in der Sowjetunion die Bahnschranken kurbeln, wie früher auch in Peine – Omsk – Nowosibirsk – Irkutsk – Ulan-Bator – Beijing – Wuhan – Changsha – Guangzhou – und schließlich Hongkong. Es ist einfach herrlich, aus dem Zugfenster zu schauen und die vorbeiziehenden Landschaften und Städte zu genießen. Die endlose Taiga, die innerasiatischen Steppen, die Wüste Gobi, die Reislandschaften und wilden, verdschungelten Berge im Süden Chinas.
Nach einem Intermezzo als Meeresgeophysiker an der Universität Hamburg entscheide ich mich, im Sommer auch noch in die andere Richtung bis ans Ende der Gleise zu fahren. Mit einem Interrailticket reise ich bis nach Marrakesch in Marokko und bis nach Narvik in Nordnorwegen. Es gibt nichts Schöneres als fahren – fahren – fahren.
Insbesondere auf diesen Zugfahrten und an den Orten, die ich besichtigt habe, fallen mir immer wieder die vielen reisenden Paare auf. Ob ich dieses Erlebnis auch einmal haben werde, frage ich mich immer öfter. So gewinnt die in mir schlummernde Sehnsucht nach Liebe wieder an Bedeutung. Sie überblendet mit jedem gefahrenen Kilometer die ewige Sehnsucht nach dem geplanten Abenteuer des Reisens.
Vom Tanzen zur Checkliste
Mein Studium setze ich als Doktorand an der Universität in Kiel fort, weil ich dort wenigstens halbwegs meinen Neigungen als Forscher nachgehen darf. Abseits der quirligen Stadt Kiel mitten in Gettorf finde ich meine Oase der Ruhe. Ich habe mir ein Zimmer bei einer alten Dame namens Vogt gemietet. Auf ihrem Anwesen herrscht eine häusliche, Geborgenheit ausstrahlende Atmosphäre.
Ihr Haus hat einen wunderschönen Gemeinschaftsraum, eine helle, freundliche, blumenreiche Loggia mit Fernsehgerät und einer total gemütlichen Eckbank. Von dort geht mein Blick stets in ihren grünen Garten, in dem auch viele ganz hohe Bäume stehen. In der Loggia esse ich morgens mein Frühstück, das gibt jedem einzelnen Tag den richtigen Schwung. Auch Abendessen mache ich mir hier regelmäßig. Und nicht selten setzt sich die Vermieterin dazu. Und dann erzählt sie mir spannende Geschichten aus Ostpreußen. Dort spielten sich ihre Kindheit und Jugend vor dem Krieg ab.
Dinge, die sie selber erlebt hat, ja erleben musste. Dinge, die sie gezeichnet haben. Vom großen Treck. Von eisiger Winterkälte. Und von ihren Partnerschaften und ihrem Mann, den sie lange Zeit hatte. Ostpreußische Strenge, Herzlichkeit und Herrlichkeit prägten sie nachhaltig. Heute ist sie Witwe und teilt ihr Haus gern mit Studenten und Doktoranden.
Natürlich besuche ich an meiner neuen Wirkungsstätte auch sofort die Tanzkurse des Hochschulsports. Auch finde ich dort problemlos Tanzpartnerinnen. Mit der Zeit ergibt es sich, dass ich mich dauerhaft und regelmäßig mit Brigitte, einer Studentin der Pharmazie, zum Tanzen verabrede. Obwohl sie auch schon einen Freund hat, macht mit ihr das Tanzen immer mehr Spaß. Sie eröffnet mir neue Welten.
Zum Beispiel entdecke ich mit ihr langsam, aber sicher auch die Diskothek für mich.
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