Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
ersetzen, eine bittere Kränkung für Lorenzo.
Doch heute hatte Lorenzo den Neffen des Papstes als Ehrengast empfangen, den siebzehnjährigen Kardinal Ria-rio von San Giorgio. Nach der Messe im großen Duomo würde Lorenzo den jungen Kardinal zu einem Fest im Palast der Medici führen, um anschließend mit ihm einen Rundgang durch die berühmte Kunstsammlung der Medici zu machen. Unterdessen stand er aufmerksam neben Ria-rio und Salviati und nickte zu ihren gelegentlichen leisen Kommentaren.
Sie lächeln, während sie die Schwerter wetzen, dachte Baroncelli.
Unauffällig gekleidet in eine schlichte Tunika aus blaugrauer Seide, war sich Lorenzo der Gegenwart zweier schwarz gewandeter Priester zwei Reihen hinter ihm kaum bewusst. Der Lehrer aus dem Haushalt der Pazzi war ein junger Mann, den Baroncelli nur unter dem Namen Stefano kannte; ein etwas älterer Mann, Antonio da Volterra, stand neben ihm. Baroncelli war da Volterras Blick begegnet, als sie die Kirche betraten, und hatte rasch zur Seite geschaut; die Augen des Priesters verrieten dieselbe schwelende Wut wie die des Büßers. Da Volterra, der bei allen Geheimtreffen zugegen war, hatte auch vehement seine Stimme gegen »die Liebe der Medici zu allem Heidnischen« erhoben und gesagt, die Familie habe mit ihrer dekadenten Kunst »unsere Stadt ruiniert«.
Baroncelli wusste ebenso wie seine Mitverschwörer, dass weder Fest noch Rundgang stattfinden würden. Ereignisse, die kurz bevorstanden, würden das politische Antlitz von Florenz für immer verändern.
Der unter einer Kapuze verhüllte Büßer hinter ihm trat von einem Fuß auf den anderen, dann stieß er einen Seufzer aus, der Laute enthielt, die nur Baroncelli auszulegen vermochte. Seine Worte wurden durch die Kapuze gedämpft, die er nach vorn gezogen hatte, um seine Gesichtszüge zu verbergen. Baroncelli hatte davon abgeraten, den Mann am Anschlag zu beteiligen - warum sollte man ihm trauen? Je weniger damit zu tun hatten, umso besser, doch Francesco hatte sich wie immer über ihn hinweggesetzt.
»Wo ist Giuliano?«, flüsterte der Büßer.
Giuliano de' Medici, der jüngere Bruder, war so hübsch anzusehen, wie Lorenzo hässlich war. Er wurde der Liebling von Florenz genannt - es hieß, er sehe so gut aus, dass Männer wie Frauen gleichermaßen aufseufzten, wenn er vorüberging. Es würde nicht reichen, wenn nur ein Bruder in der großen Kathedrale zugegen wäre. Beide waren erforderlich - sonst müsste das gesamte Vorhaben abgebrochen werden.
Baroncelli warf einen Blick über die Schulter auf das von der Kapuze überschattete Gesicht seines Komplizen und antwortete nicht. Er konnte den Büßer nicht leiden; der Mann hatte einen selbstgerechten religiösen Eifer in das ganze Unterfangen eingebracht, der so ansteckend war, dass selbst der weltliche Francesco mit der Zeit geglaubt hatte, sie würden heute Gottes Werk verrichten.
Baroncelli wusste, dass Gott nichts damit zu tun hatte; es handelte sich hierbei um einen Akt, der Neid und Ehrgeiz entsprang.
Francesco de' Pazzi zischte ihm zu: »Was ist los? Was hat er gesagt?«
Baroncelli beugte sich vor und flüsterte seinem wesentlich kleineren Arbeitgeber ins Ohr: »Wo ist Giuliano?«
Der wieselgesichtige Francesco war bemüht, sich seinen Schrecken nicht ansehen zu lassen. Baroncelli teilte seine Besorgnis. Die Messe würde nun, da Lorenzo und sein Gast, der Kardinal, an Ort und Stelle waren, bald beginnen; sollte Giuliano nicht sofort eintreffen, würde der gesamte Plan in eine einzige Katastrophe münden. Zu viel stand auf dem Spiel; zu viele Seelen waren an der Verschwörung beteiligt, zu viele Zungen, die tratschen könnten. Gerade in diesem Augenblick wartete Messer Iacopo nebst einer kleinen Armee aus fünfzig Söldnern aus Perugia auf das Signal der Kirchenglocke. Wenn sie läutete, würde er den Regierungspalast einnehmen und das Volk gegen Lorenzo aufwiegeln.
Der Büßer schob sich vor, bis er fast neben Baroncelli stand; dann hob er den Kopf und schaute zu der Schwindel erregend hohen und massiven Kuppel über ihnen auf, die sich direkt über dem großen Altar erhob. Die leinerne Kapuze des Mannes rutschte leicht nach hinten und enthüllte sein Profil. Einen Augenblick lang teilten sich seine Lippen, Stirn und Mund verzogen sich zu einer Maske aus Wut und Abscheu, dass Baroncelli vor ihm zurückschreckte.
Mit der Zeit ließ die Bitterkeit in den Augen des Büßers nach; sein Ausdruck löste sich allmählich in glückselige Ekstase auf,
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