Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
dabeigehabt, hätte ich einen Krankenwagen gerufen. Wieder einmal war ich auÃer mir. Ich will das nicht mehr, dachte ich verzweifelt. Und hörte den Satz in mir dröhnen: »Dann musst du dein Seelenheil an erste Stelle setzen.«
Krank zu sein bedeutete für mich bislang Verzicht. Und da ich immer das Gefühl hatte, zu verhungern, konnte ich keinerlei Verzicht akzeptieren, nicht einmal, wenn es darum ging, in der Hitze zu joggen. Während ich auf der Bank saÃ, strömten die Läufer an mir vorbei. So viel, wie sie leisteten, das wollte ich auch können! Erst als mein Körper vor der Ãberlastung kapitulierte, schaffte ich es, langsam meine Grenzen anzuerkennen. Hätte ich nicht von meinen hohen Christiaan-Barnard-Anforderungen Abschied genommen, wäre ich die Depression nie losgeworden. Doch krank zu sein ist so grauenhaft, dass ich heute lieber unterdurchschnittlich bin und mich wohlfühle, als vollkommen überfordert einem unerreichbaren Ideal nachzueifern. Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Leben, in dem ich mich nicht mehr so diszipliniere, so schön finden würde.
Die Säulen meiner Woche: Vor zehn Uhr stehe ich nie auf, nur montags, wenn ich zur Therapie gehe. Ich arbeite meist fünf, sechs Stunden am Stück. Einen Nachmittag in der Woche verbringe ich mit Maren und ihren beiden Söhnen. Mit ihnen kann ich gleichzeitig erwachsen und kindlich sein. Ich lese Romane von der irischen Autorin Marian Keyes, ihre Tragikkomödien sind genau richtig. Diese Mischung finde ich auch in den Fernsehserien Scrubs oder Glee . Das Leid der Figuren rührt mich, aber es gibt auch viel zu lachen, sodass ich es aushalten kann. Alte Loriot -Sketche muntern mich ebenfalls auf. Freitags gehe ich zum Sport. Am Wochenende kaufe ich ein, putze und treffe Freunde. Jeden Tag telefoniere ich weiterhin mit Birgit. Alles ist ziemlich »normal« â herrlich! Für die Zukunft wünsche ich mir das, was ich mir schon immer gewünscht habe: seelische Stabilität, schlank sein, einen Partner, einen kleinen Garten und einen Hund; Segelurlaube und Sommerferien in Schweden.
Meldet sich die Depression doch einmal, dann weià ich mir zu helfen. Ich streiche alles, was nicht unbedingt sein muss, gönne mir Ruhe, stehe zu meinen Gefühlen und versuche, mir meine Bedürfnisse zu erfüllen. Die Frage ist nicht mehr: Was muss ich?, sondern: Was brauche ich! Ich verzichte dann darauf, E-Mails zu schreiben oder Staub zu saugen. Ich weiÃ: Das kann ich immer noch tun, wenn es mir wieder besser geht. Nur kein Druck.
Wie sehr sich mein Lebensgefühl verändert hat, merke ich an der CD , die ich zum Einschlafen einlege. Statt Mozarts Requiem höre ich die Comedian Harmonists: »Irgendwo auf der Welt gibtâs ein kleines bisschen Glück. Und ich träumâ davon in jedem Augenblick.«
Literatur, Filme und TV-Serien
Literatur
Dieses Buch ist kein wissenschaftliches Werk, deshalb sind meine Quellen sehr unterschiedlich: Selbsterfahrungsberichte, Romane, Sach- und Fachbücher. Etliche Werke stellen meiner Meinung nach Depressionen und ihre Behandlung falsch dar. Ich nenne daher hier nur Bücher, deren Wissen ich vertreten kann, weil ich mich in ihnen als Patientin wiedergefunden habe. Die mit einem Sternchen gekennzeichneten Literaturangaben haben mich besonders berührt.
Bandelow, Borwin: Wenn die Seele leidet. Psychische Erkrankungen: Ursachen & Therapien. Reinbek 2010*
Bartens, Werner: Glücksmedizin. Was wirklich wirkt. München 2011
â : Heillose Zustände. München 2012
Bauer, Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. München 2008
Bettelheim, Bruno: Liebe allein genügt nicht. Die Erziehung emotional gestörter Kinder. Stuttgart 1991 *
Böckem, Jörg: Lass mich die Nacht überleben. Mein Leben als Journalist und Junkie. München 2005*
â : Danach war alles anders. Suchtgeschichten. München 2007*
Brampton, Sally: Das Monster, die Hoffnung und ich. Wie ich meine Depression besiegte. Köln 2011*
Bronisch, Thomas: Der Suizid. Ursachen â Warnsignale â Prävention. München2007 , 5. überarb. Aufl.
Buck-Zerchin, Dorothea Sophie: Auf der Spur des Morgensterns. Psychose als Selbstfindung. Bergisch Gladbach 1993*
Decker-Voigt, Hans-Helmut: Aus der Seele gespielt. Eine Einführung in die Musiktherapie. München 2000
Der
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