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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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 Erstes Kapitel 
    1664
    D er alternde Taschendieb Jack Einauge erreichte den verabredeten Treffpunkt in Whitefriars beim zehnten Glockenschlag. Der aufgehende Mond tauchte die Ruinen des ehemaligen Karmeliterklosters in ein silbernes Licht, das hell genug war, so dass man sich auch ohne Laterne zwischen dem herumliegenden Bauschutt und zerbröckelnden Gestein zurechtfinden konnte. Hier war man vor neugierigen Augen so gut wie sicher. Nur ein paar Bettler, die keine andere Unterkunft fanden, hausten in dem zugigen Gemäuer. Irgendwo in einer Ecke des Chors hustete sich einer dieser armen Schlucker die Seele aus dem Leib. Einauge achtete nicht darauf. Ungeduldig rieb er sich die knotigen Hände. Die Zeiten, als seine flinken Finger die Beutel wohlhabender Bürger unbemerkt von deren Gürteln schneiden konnten, waren seit langem vorüber. Das Werkzeug seiner Zunft war nutzlos geworden, und an manchen Tagen gelang es ihm nicht einmal mehr, einen Humpen Ale zu heben. Die Erkenntnis, dass er langsam, aber sicher zum Krüppel wurde, hatte seinen Gaunerstolz gebrochen. Um nicht zu verhungern, übernahm er mittlerweile jede Arbeit, die er kriegen konnte.
    »Hast du die Liste?«, fragte unvermittelt eine Stimme aus dem Halbdunkel einer Mauernische.
    Einauge fuhr erschrocken herum und musterte die Gestalt, die in einen langen Kapuzenmantel gehüllt war. »Bei Christi Blut! Ihr schleicht wie eine Katze. Hätte mir fast die Hosen nass gemacht!«
    »Hasenfuß! Heb dir das für den Tag auf, an dem man dich hängt. Hast du die Namen besorgt?«
    »Ja.«
    »Dann gib sie mir!«
    »Erst das Geld.«
    Aus der Nische wurden ihm einige Münzen entgegengeworfen. Er versuchte, sie zu fangen, doch es misslang ihm kläglich. Fluchend kniete er sich auf den Boden und sammelte sie eine nach der anderen ein. Nachdem er sie begutachtet hatte, nickte er zufrieden. »Ihr seid recht freigebig. Ich versteh Euch nicht. Wozu braucht Ihr mich, um die Namen rauszufinden? Es gibt doch Protokolle, wo man so was nachlesen kann.« Der Taschendieb grinste breit. »Aber vielleicht wollt Ihr nicht beim Rumschnüffeln erwischt werden. Habt irgendeine Gaunerei vor, was?«
    »Das geht dich nichts an, mein Lieber.«
    »Offen gesagt will ich’s auch gar nicht wissen. Hier habt Ihr die Liste.«
    Einauge griff in seine zerschlissene Kniehose, holte ein schmutziges Stück Papier hervor und legte es in die Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Das Mondlicht reichte gerade aus, um das Geschriebene zu entziffern.
    »Das sind nicht alle, Einauge. Was ist mit dem Wundarzt?«
    »Nichts zu machen. Der Bursche, der mir die Namen aufschrieb, konnte sich nicht erinnern, wie er hieß. Es ist zu lange her. Und ich glaube, einer der Richter ist vor ein paar Monaten gestorben.«
    Ohne es zu sehen, ahnte Einauge, dass sich die Lippen, die im Schatten der Kapuze lagen, zu einem kalten Lächeln verzogen.
    »Das scheint Euch nicht besonders zu betrüben«, bemerkte er sarkastisch.
    »Warum sollte es?«, war die ungerührte Antwort. »Jeder bekommt nur, was er verdient.«
    Auch ein abgefeimter Spitzbube wie Jack Einauge konnte sich beim Klang dieser eisigen Stimme eines Schauderns nicht erwehren. Es lag eine unerschütterliche Entschlossenheit darin, die selbst ihm unheimlich war.

    Der sommerliche Regenschauer hatte nachgelassen. Ein schmaler Riss in der grauen Wolkendecke gab den Blick auf den blauen Himmel frei. Doch die Sonnenstrahlen erreichten nur vereinzelt die Gassen des Londoner Stadtkerns, die von den weit vorspringenden Giebeln der Häuser beschattet wurden.
    Der Wundarzt Alan Ridgeway gab seinem Gesellen noch einige Anweisungen, bevor er seine Chirurgenstube verließ und auf die Paternoster Row hinaustrat. Dabei stolperte er über einen Haufen Unrat, den sein Nachbar auf dem Kopfsteinpflaster zusammengefegt hatte, und stieß einen Fluch aus. Es erforderte schon eine gewisse Behändigkeit, sich in den vom Kehricht und Dung der frei laufenden Schweine verschmutzten Straßen fortzubewegen, ohne sich die Kleider zu ruinieren, besonders wenn der Regen den Dreck in Morast verwandelt hatte.
    Da kein Fuhrwerk kam, balancierte Alan vorsichtig über die offene Abflussrinne in der Mitte der Straße und bog in die schmale Ave Maria Lane ein. An der Ecke präsentierte sich ihm ein Schauspiel, das ihn lächelnd im Schritt verhalten ließ. Eine dralle Milchmagd beugte sich gerade vor, um das Joch, an dem sie die Eimer trug, wieder auf ihre Schultern zu heben. Dabei hüpften ihr die runden

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