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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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doch egal, ob das süchtig macht – jetzt geht es ums nackte Überleben! Oxazepam ähnelt in seiner Wirkung dem Beruhigungsmittel Valium (Diazepam), ein gesunder Mensch würde bei der Menge auf der Stelle einschlafen. Ich jedoch bleibe trotz der hohen Dosis in einer nicht enden wollenden Panikattacke stecken, bin so außer mir, dass ich die ganze Zeit heulen und schreien könnte. Mein Herz rast, ich zittere und fühle mich, als ob ich in einem Auto sitze, welches auf einen Baum zurast. Das Beruhigungsmittel beruhigt mich längst nicht mehr, es sorgt nur dafür, dass ich den Tag durchstehe: Nach außen komme ich mir mehr und mehr wie ein Roboter vor, kein Wunder, denn ich funktioniere wie eine Maschine. Stehe auf, ziehe mich an, frühstücke, gehe, spreche, arbeite. Innerlich bin ich vollkommen aufgelöst.
    Es ist der letzte Tag, wir sind in Trondheim angekommen. An Land findet vormittags die abschließende Konferenz statt. Vertreter von Behörden und wissenschaftlichen Instituten aus verschiedenen europäischen Ländern geben ihre Statements zum Thema IUU ab, zum illegalen Fischen. Inzwischen habe ich das Gefühl, nicht mehr Teil meines Körpers zu sein. Je länger ich die Vortragenden sprechen höre, desto ängstlicher werde ich. Nach der Veranstaltung interviewe ich die Pressesprecherin vom Deutschen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die ganze Zeit bin ich schweißgebadet, weil ich nicht weiß, ob meine Fragen mich als völlig unwissend entlarven.
    Am Abend gehe ich mit der Truppe von der Johan Hjort zum letzten Mal gemeinsam essen. Wir sitzen draußen in der Sonne vor einem kleinen italienischen Lokal, auf schönen Korbstühlen. Eine ausgelassene Runde, die das Ende der Reise feiert. Wenn ich mir heute die Fotos von diesem Kreis ansehe, erschrecke ich – denn man sieht mir nichts an. Ich sehe mich strahlend lächeln, weiß aber genau, wie elend ich mich in diesem Moment gefühlt habe. Heute bin ich erstaunt, wie schlank ich war, damals fühlte ich mich fett und hässlich. Auf den Bildern entdecke ich nicht den geringsten Hinweis von dem Martyrium, in dem ich mich befand. Gar nichts.
    Am nächsten Tag, es ist ein Mittwoch, verpasse ich fast meinen Rückflug. Es scheint, als ob ich inzwischen nur noch in Zeitlupe funktioniere. Außerdem fällt es mir schwer zu rechnen. Wenn um vierzehn Uhr mein Flieger geht, wann muss ich dann das Hotel verlassen, um rechtzeitig am Flughafen anzukommen? Irgendwie sitze ich dann doch im Bus zum Airport von Trondheim. Benommen sehe ich aus dem Fenster: Bewaldete Hügel, im Tal kleine Häuser mit spitzen Dächern, und immer wieder fahren wir über Brücken, über Ausläufer des Fjords. Die Farben leuchten, da ist das Hellblau des Himmels, das Dunkelblau des Meeres, das Grün der Wälder, das Rot der Häuser. Doch diese Schönheit erscheint mir fern, wie ein Gemälde. Ich fühle mich wie abgespalten von der Welt.
    Als der Bus hält, merke ich, dass ich viel zu spät dran bin. In letzter Minute erreiche ich die Maschine. Als ich auf meinem Platz sitze, schlucke ich erneut mein Oxazepam. Ich nehme es jetzt, als würde ich zu Bonbons greifen. Doch es hilft mir nur so weit, dass ich mich noch aufrecht halten kann. Alles, was ich will, ist nach Hause zu kommen, zu Philipp. Doch er ist nicht mehr mein Zuhause. Wenn ich wenigstens zu meiner Familie fahren könnte, aber meine Mutter ist tot. Ein Zuhause, in dem ich das Kind bin, habe ich schon ewig nicht mehr.
    Am Hamburger Flughafen nehme ich ein Taxi zu meiner Wohnung. Ich kann nicht mehr in einen Bus einsteigen. Nachdem ich die Haustür hinter mir geschlossen habe, wanke ich ins Bett. Am nächsten Morgen rufe ich – zum ersten Mal in dem halben Jahr der Behandlung – meinen Therapeuten an. Ich schluchze und weine, sage: »Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr.« Er klingt ruhig und abgeklärt wie stets, aber ich nehme wahr, dass er meine Not sehr ernst nimmt. Er antwortet: »Frau Fuhljahn, wenn es gar nicht mehr geht, können Sie jederzeit über die Notaufnahme in eine Klinik gehen. Jederzeit! Ansonsten kommen Sie bitte morgen früh um neun zu mir. Dann besprechen wir, wie es weitergeht.«
    In meinem Kopf existiert nur noch dieser Termin. Die Stunden bis dahin verbringe ich unter einer Medikamentenglocke. Nur zu einem Telefonat mit meinem Redaktionsleiter

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