Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
hinter der Fassade des braven Gutsverwalters hervorgekrochen. Es sah aus, als blicke sie durch die schwarzen Pupillen seiner blauen Augen direkt in einen seelenlosen Abgrund.
Mittlerweile saß sie auf der schmalen Holzbank und hatte die Ruder in der Hand. Jens hatte sich an das andere Ende des Bootes gesetzt und Bettina vor sich heruntergezogen. Sie kniete vor ihm, den Blick auf Pia gerichtet, den Kopf unnatürlichzurückgerissen, um der scharfen Messerklinge so weit wie möglich zu entkommen. Pia ruderte auf den offenen See hinaus. Eine Weile war nichts zu hören als das Platschen der Ruder ins Wasser und das Knarren des Bootes.
»Was haben sie jetzt vor?«, fragte Pia.
»Zunächst einmal schmeißen Sie Ihre Pistole, oder was immer Sie bei sich haben, ins Wasser. Genauso Ihr Telefon, aber schön langsam, damit ich es sehen kann«, antwortete Jens. Pia fasste langsam und äußerst widerwillig zu ihrem Schulterhalfter und zog ihre P6 hervor. Bettina zuckte, als Jens beim Anblick der Waffe die Klinge noch etwas fester andrückte.
»Los, weg damit«, befahl er barsch.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als das Ding über Bord zu werfen, wo es schnell im dunklen, trüben Wasser verschwand. Anschließend griff sie unter dem brennenden Blick von Petersen in ihre Jackentasche und zog ihr Mobiltelefon hervor. Sie warf es hinterher und griff wieder nach dem Ruder.
»Was gibt es denn nun auf dieser Insel?«, fragte sie. »Sie haben doch niemanden dort gesehen. Dort ist doch nichts.«
»Schön, dass Sie noch darauf gekommen sind, Frau Kommissarin, aber leider zu spät. Ich wollte Sie nur dorthin locken, um Ihnen einzureden, dass Malte dort ein kleines Drogenversteck eingerichtet hat. Irgendetwas, das ihren Verdacht in eine andere Richtung lenkt. Und während Sie für geraume Zeit auf Rotten Warder festsitzen, wollte ich mich von hier absetzen. Die Flucht ins Ausland war von Anfang an Plan B, falls etwas schief geht. Solange die Polizei nicht wusste, dass ich Elises Vater bin, solange war ich über jeden Verdacht erhaben. Nun, da sie mein Motiv kennen, wird es allmählich zu gefährlich für mich. Ich habe den Tod meines Kindes gerächt. Aber wenn die Frau, die ich geliebt habe, wieder zu ihrem herumvögelnden Ehemann zurückkriechen will, ist das ihre Sache. Bevor ichmich einsperren lasse, mache ich doch lieber einen neuen Anfang. Argentinien oder Chile sind das Richtige für Menschen, die so freiheitsliebend sind wie ich.«
»Sie glauben doch nicht, dass Sie so weit kommen?«, fragte Pia erstaunt. »Und warum dieser ganze Aufwand hier, Sie hätten doch schon längst weg sein können?«
»Bisher hatte ich das Gefühl, ich sei sicher. Ihr Bullen würdet sowieso nie darauf kommen, was wirklich passiert ist. Aber als ich Sie und Bettina vorhin zusammen sah, da wurde mir klar, dass sie mich verraten würde. Bettina ist nicht stark. Sie haben sie so unter Druck gesetzt, dass es so aussah, als ob sie Ihnen jeden Moment unser kleines Geheimnis beichten würde. Und dann hätten Sie nur eins und eins zusammengezählt, die Sache mit meiner Tochter wäre herausgekommen, und auch, dass ich mich an diesem Schwachkopf gerächt habe, der sie auf dem Gewissen hat. Ich musste Bettina also zuvorkommen.«
»Warum hast du uns nicht ebenfalls ermordet? Darin hast du doch mittlerweile Übung.« Bettinas Stimme troff vor Verachtung. »Ich liebe dich immer noch. Ich will dir nichts antun«, antwortete Petersen ihr schlicht. Bettina schwieg.
»Aber sie hatten keine Skrupel, einem unschuldigen 16-jährigen Mädchen etwas anzutun?«, fragte Pia ihn.
Jens lachte auf. Ein hässlicher, unpassender Laut.
»Unschuldig? Na ja. Als die liebe Agnes am Donnerstag bei Verena im Stall auftauchte und sie dringend sprechen wollte, da habe ich gelauscht. Die kleine Kontos sagte wortwörtlich zu Verena, dass sie wüsste, wer die Benneckes erschossen hat ...«
»Aber sie dachte, es wäre Kay Rohwer gewesen!«, entfuhr es Pia, der aufging, welche Todesängste Agnes auf Grund dieser Fehlinterpretation hatte ausstehen müssen.
»Ich konnte kein Risiko eingehen. Dieses Mädchen tauchteimmer zur falschen Zeit am falschen Ort auf. Ich wollte ihr gar nichts tun, sie nur etwas einschüchtern, damit sie nicht zu reden wagt.«
»So wie Hanno Suhr?«
Petersen sah Pia triumphierend an: »So ein Idiot. Um den war es nun wirklich nicht schade. Hatte die Chance, einen guten Hof zu übernehmen, und wirtschaftet ihn in kürzester Zeit zu Grunde! Es war sein Pech, dass er
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