Karlo geht von Bord - Kriminalroman
anzurufen. Der Griff ging ins Leere.
Das Handy war nicht da.
Er schloss die Augen und ließ resigniert die Schultern sacken, als ihm in den Sinn kam, wie er sein Handy auf Wurms Wohnzimmertisch abgelegt hatte. Dort lag es gut, dachte er sarkastisch. Deshalb also hatte er noch nichts von Reichard gehört.
Um 16.38 schaute er auf die Uhr. Mittlerweile war auch die
Römerberg
überfällig. Ein Frachtschiff näherte sich, von Brands Schiff war weit und breit nichts zu sehen.
Und Reichard sollte doch auch schon lange hier sein, was war da nur los? Hoffentlich hatte Brand nichts auf eigene Faust unternommen. Aber was hätte der Schiffsführer tun können? Er kannte den zweiten Mann doch gar nicht, oder?
Plötzlich kam ihm ein ungeheurer Verdacht. Wenn nun Brand selbst … Beate Wurm hatte vorhin noch nichts Genaues über die Identität des zweiten Mannes gesagt. Auch Kölner hatte die Existenz des Zweiten nur auf den Hinweis von Frau Wurm vermutet. Ohne dass dabei eine Beschreibung des Unbekannten herausgekommen wäre. Wieder schaute er auf die Uhr. 16.50. Immer noch keine Spur von der
Römerberg
. Gehrings Unruhe wuchs zusehends. Und er selbst hatte Brand noch von der geplanten Festnahme erzählt. Sonst konnte niemand davon wissen. Sollte der nette Brand wirklich dieser zweite Mann sein? Oder sah er einfach nur Gespenster? Sein logisches Denken schien ihm abhanden gekommen zu sein wie das verfluchte Handy.
Sein Blick fiel auf den verglasten Kiosk neben dem Anlegeplatz. Prompt kam aufs Neue der Ärger über sich selbst in ihm hoch. Das kleine Häuschen war besetzt, eine Frau saß hinter dem Schalter. Gehring lief hinüber und zeigte der Frau seinen Dienstausweis.
„Ich muss dringend telefonieren. Geben Sie mir bitte Ihr Telefon“, befahl er knapp.
In Windeseile tippte er Reichards Nummer ein, lehnte sich mit dem Rücken an den Kiosk und lauschte dem Freizeichen.
„Nun mach schon, Reichard, geh ran“, murmelte er gereizt und blickte um sich.
Im gleichen Moment sah der Hauptkommissar das Boot der Wasserschutzpolizei. Kurz dahinter folgte die
Römerberg
.
Gehring wurde siedend heiß. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen.
Es war doch etwas passiert!
–
Kommissar Reichard lehnte entspannt im Steuerhaus, blinzelte in die Nachmittagssonne und sah zufrieden zu, wie der Steuermann der
Römerberg
hinter dem Boot der Wasserschutzpolizei Kurs auf die Anlegestelle hielt. Als sein Telefon klingelte, wäre er beinahe erschrocken. Er hielt das Handy ans Ohr.
„Reichard … ach, Chef“, entfuhr es ihm verwundert. „Warum gehen Sie nicht ans Telefon? Was war denn los bei Ihnen?“
„Das Handy liegt in der Wohnung der Wurms. Wo sind Sie, jetzt, Reichard?“
„Wir sind gleich am Eisernen Steg. Und Sie?“
„Ich steh hier schon seit über einer halben Stunde und warte. Was ist denn passiert?“
„Tja, Chef, nun raten Sie mal, was …“
„Reeeiiichaaard!!!“
„Tschuldigung. Ich erzähle es Ihnen gleich. Ich kann Sie nämlich schon sehen.“
Reichard legte auf.
–
Als die
Römerberg
anlegte, hielt auch der Streifenwagen auf der Zufahrt zum Main.
Gehring eilte zur Absperrung. Noch bevor jemand geöffnet hatte, stand er schon an Deck. Reichard war nach unten geeilt und begrüßte seinen Chef, der ihn griesgrämig musterte.
Gehring erstarrte, als hinter seinem Kollegen Marius Brand auftauchte. Reichard bemerkte den Schreck Gehrings und vollführte eine schnelle Drehung.
Die Reaktion Reichards verwirrte Gehring vollends.
„Ah, da ist ja unser Held“, rief Kommissar Reichard erfreut aus. „Kommen Sie nur her, Herr Brand, und berichten Sie meinem Chef, was passiert ist.“
Brand war neben den Kommissar getreten und lächelte verlegen. „Machen Sie das lieber selbst, Herr Kommissar.“
„Auch gut.“
Reichard spähte zum Streifenwagen, neben dem die Beamten standen und zur
Römerberg
schauten. Er winkte sie herbei.
„Kommt hier rüber, Kollegen. Ihr müsst jemanden mitnehmen.“
Kurz darauf eskortierten die Streifenbeamten Marek Iwanczyk in Handschellen an dem erstaunten Gehring vorbei zu ihrem Wagen. Marek hatte eine blutige Nase, ein blaues Auge schien gerade im Entstehen begriffen.
Reichard wandte sich an den Schiffsführer.
„So, Herr Brand, jetzt können Sie die restlichen Passagiere von Bord lassen. Wir treffen uns dann in fünf Minuten im Salon, ja?“
Brand hatte dann doch noch begonnen, selbst zu reden. Zuerst hatte er drei Tassen Kaffee geordert und Reichard, Gehring und er saßen
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