Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
Vom Netzwerk:
Maria.“
    Diesmal kamen ihm die Worte einigermaßen flüssig über die Lippen.
    Sie zog die Wattejacke fest um ihren Körper. Darunter trug sie ein elegantes weißes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Sando fiel auf, dass es dasselbe war, das sie auch in der Festung Makala getragen hatte.
    „Warum hast du dich nicht bei mir gemeldet?“, fragte Maria vorwurfsvoll.
    „Das habe ich, aber du hast mich nicht erkannt.“
    „Das ist doch …!“ Maria schnappte nach Luft. „Wie sollte ich dich nicht erkennen?“
    Sie fühlte sich auf den Arm genommen, schaute Sando entrüstet an.
    Er wusste nicht, wie er ihr das Unbegreifliche begreiflich machen sollte.
    „Das ist eine lange Geschichte, Maria“, wich er aus. „Es braucht Zeit, sie zu erzählen.“
    Sie sah ihn skeptisch an.
    „Versprich mir, nicht wieder davonzulaufen!“
    Diese Zusage gab Sando leichten Herzens.
    Von ihrer Holzpritsche aufspringend breitete sie einladend die Arme aus. „Was stehst du da, wie ein Ölgötze? Wir haben uns noch gar nicht richtig begrüßt!“
    Sie bemerkte nichts von seiner Befangenheit, als er auf sie zuging. Wie selbstverständlich schloss sie ihn in die Arme, strich ihm übers Haar. Sein Gesicht berührte ihren zarten Hals im weiten Kragen der Wattejacke. Er spürte die Wärme, die aus dem groben Kleidungsstück hervorstieg, atmete den Geruch ihres Körpers und ihn überkam das unbändige Verlangen, seine Lippen auf ihre Haut zu pressen.
    Sanft schob ihn Maria von sich. „He, nicht so stürmisch, junger Mann!“
    Sando schaute ziemlich betreten drein. Es war ihm ein Rätsel, wie sie seine geheimen Wünsche hatte erraten können. Nicht auszudenken die Peinlichkeit, wenn er sie wirklich geküsst hätte!
    Maria betrachtete ihn aus der Distanz ihrer ausgestreckten Arme. „Wie erwachsen du geworden bist!“, sagte sie. „Ich wusste gar nicht, dass du Motorrad fährst.“
    „Jemand hat mir die Kombi geschenkt, weil mir so kalt war“, sagte er rasch, froh, dass Maria nicht weiter auf der Sache herumritt.
    Sie lachte und klopfte auf ihre dicke Jacke.
    „Wie du siehst, Sando, hat die Kälte auch meine Eitelkeit besiegt. Etwas anderes war hier nicht zu bekommen.“
    Sie lehnte sich zurück, kam unversehens mit dem Ellbogen auf die Tastatur. Eine Dissonanz schwang durch die Nacht.
    Schmerzlich verzog Maria das Gesicht.
    „Du hast vorhin hoffentlich nicht gehört, wie ich gespielt habe?“
    „Wieso?“, fragte Sando. „Es hatte etwas … ganz Eigenes.“
    „Eigenes?“ Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. „Als ich die ersten Töne anschlug, war ich über mich selbst erschrocken. Nie hätte ich gedacht, dass ich den Chopin einmal vergessen könnte. Doch es war alles wie weggeblasen. Wären nicht diese armen Menschen hinzugekommen, hätte ich mich still und heimlich wieder verdrückt. Aber sie haben mich gebeten, zu spielen, haben das Klavier vom Wagen gehoben, die Fackeln entzündet. Sollte ich ihnen die kleine Freude abschlagen?“
    „Glaub mir“, beteuerte Sando, „dein Spiel war … wie soll ich sagen … es hat mich richtig aufgewühlt. Ich fühlte mich in die Festung Makala versetzt.“
    Über Marias Gesicht lief ein Schatten.
    „Makala? War das nicht das Ziel unserer missglückten Busreise?“
    „Du sagst es.“
    „Festung Makala“, murmelte Maria, als suchte sie diesen Ort in einem finsteren Winkel ihres Ichs.
    Sando seufzte. Ihre Erinnerung schien ernsthaft gelitten zu haben.
    „Sag mal, Maria, ist dir in letzter Zeit eine Frau begegnet, die Callista hieß?“, fragte er so beiläufig wie möglich.
    „Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Maria, ohne ein Fünkchen Zweifel erkennen zu lassen. „Warum fragst du?“
    „Ach, weißt du, es ist eine Bekannte von mir. Ich wollte nur wissen, ob sie auch dir über den Weg gelaufen ist.“
    „Ganz bestimmt nicht.“
    In Marias Augen funkelte der Spott, als sie hinzusetzte: „Aber auf dich scheint diese Callista ja mächtig Eindruck gemacht zu haben.“
    „Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe“, ließ sich Sando auf ihren Ton ein.
    „Schöner als ich?“, fragte Maria kokett, woraufhin Sando abwägend die Hände drehte und dann diplomatisch verkündete: „Genauso schön.“
    Maria knuffte ihn scherzhaft in die Seite, während Sandos Gedanken arbeiteten: Sie kennt Callista nicht! Das kann doch nur heißen, dass sich deren Seele aus Marias Körper verflüchtigt hat – und mit ihr offenbar auch die Erinnerung an Makala, an Jamal al Din,

Weitere Kostenlose Bücher