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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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denn dazu?“
    „Nun, du hast mir nie erzählt, was dich aus deinem spießigen Erdenleben gerissen hat. Aber eines ist sicher: Der Bursche auf dem Foto hat damit zu tun.“
    Diese Augen!
    Jetzt sah ihn Sando vor sich, den vermummten Jungen, der ihn mit vorgehaltener Pistole daran gehindert hatte, aus dem gekaperten Bus zu fliehen. Er erlebte noch einmal den Moment, an dem sie sich stumm gegenüberstanden: er, Sando, sprungbereit in der offenen Tür, der junge Gotteskrieger draußen im ewigen Wind. Einer schaute den anderen erschrocken an, als plötzlich wie aus dem Nichts die unselige Plastiktüte heranwehte und dem bewaffneten Burschen ins Gesicht klatschte. Der Schreck löste den Schuss aus.
    „Na, was ist? Schickst du ihn in den Hades?“, fragte Mike.
    Sando sah ihn verwirrt an. „Wie bitte?“
    „Du musst das Formular ausfüllen. Hier: Ja oder Nein.“
    Lemming tippte mit dem Finger auf das Blatt Papier, das mit dem Foto in dem Umschlag gesteckt hatte.
    „Was zögerst du noch? Auf dem Bild ist er ein netter Junge, aber vergiss nicht, er ist ein Mörder!“
    „Ich kann ihn doch nicht …“
    „Warum nicht, verdammt? Nur deine Antwort steht noch aus. Die anderen haben alle das Ja gewählt.“ Lemming hielt ihm einen Stift hin. „Mach ein Kreuz beim Ja. Es gibt Dinge, da muss man hart sein. Das erfordert das Allgemeinwohl.“
    Sando nahm den Stift und beugte sich über das Formular. Ja oder Nein … Neben jedem Wort ein leeres Kästchen für das Kreuz. Mit zwei winzigen Federstrichen konnte er Schicksal spielen. Es hing nur noch von ihm ab, was aus dem fremden Jungen wurde. Zitternd verharrte die Spitze des Stiftes über dem Ja.
    „Es ist die gerechte Strafe, Sando! Glaub mir, er hat sie verdient“, drängte Mike.
    Sando schüttelte den Kopf.
    „Tut mir leid, Mike. Ich denke nicht, dass der Hades die Lösung ist.“
    Entschlossen kreuzte er das Nein an, unterschrieb und steckte das Blatt zurück in den Umschlag.
    „Darf ich das Foto behalten?“
    „Steck es dir sonst wohin, du Weichei!“
    Lemming war verstimmt.
    Sando schob das Bild in die Tasche der Lederjacke mit dem Zeichen der Battoni-Jugend, was Mike, der edle Spender, mit einem säuerlichen Blick quittierte.
    „Ich hatte gehofft, die Kluft macht dich zum Mann. Aber so einfach scheint es nicht zu sein.“
    „Du kannst die Sachen wiederhaben.“
    „Nein, lass mal! So leicht gebe ich die Hoffnung nicht auf.“
    Mike grinste wieder.
    „Macht ihr immer noch die Gegend unsicher?“, fragte ihn Sando auf den Kopf zu.
    „Was hältst du von uns?“
    Lemming schien ehrlich entrüstet zu sein.
    „Wir haben ein Auge drauf, dass niemand in den zerstörten Häusern plündert. Wer weiß, wie es sonst hier zuginge. Die Polizei ist total überfordert.“
    „Ihr arbeitet mit der Polizei zusammen?“
    „Ich glaube, wir haben einiges wiedergutzumachen.“
    Diese Worte aus Mikes Mund erstaunten Sando.
    „Ist Doktor Fasin nicht mehr dein großes Vorbild?“
    Lemmings Kumpane tauschten Blicke aus. Auch sie schienen gespannt auf die Antwort ihres Anführers zu warten.
    „Weißt du, Hasenscharte, ich habe Augen im Kopf, auch wenn du es mir nicht zutraust.“
    „Ach ja?“, rutschte es Sando spöttisch heraus. „Und was haben sie gesehen, deine Augen?“
    Lemming schluckte und Sando bemerkte, dass er ein wenig zu weit gegangen war. „Entschuldige!“, ruderte er zurück. „Ich habe es nicht so gemeint.“
    „Schon vergessen!“ Mike winkte ab. „Ich habe gesehen, dass sich der Doktor mit dem Falschen verbündet hat. Hätte er sich nicht auf Wolfenhagen eingelassen, dann …“
    „Dann hätten wir jetzt das Paradies, von dem er geträumt hat, nicht wahr?“, ergänzte Sando, bemüht um einen möglichst neutralen Ton.
    „Ich glaube, dass er es ernst damit gemeint hat“, versetzte Lemming treuherzig. „Ich dachte immer, nur einer mit einer solchen Vision kann verhindern, dass Leute wie der Ballonkopf Katharsia kaputt machen.“
    Sando ging es gegen den Strich, wie Lemming über den toten Präsidenten sprach.
    „Was Wanderer nicht geschafft hat, ist ja nun dem Doktor gelungen“, sagte er sarkastisch.
    Erstaunlicherweise blieb Mike ruhig. Auch seine Leute nahmen die Kritik am Doktor ohne spürbare Regung hin.
    „Du weißt, dass es nicht seine Absicht war, Sando“, sagte Lemming friedfertig.
    „Du nimmst ihn noch in Schutz? Nach allem, was passiert ist?“
    „Ich will nicht mit dir darüber streiten. Wir helfen jetzt jedenfalls, die Ordnung

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