Katzendaemmerung
Sachmet höchstpersönlich!«
Ich brauchte einige Zeit, bis ich eine Erwiderung formulieren konnte. Welches Spiel spielte Mia hier mit mir? Genau dieselbe Antwort hatte sie mir erst vor wenigen Minuten gegeben; nun klang der Name ›Sachmet‹ allerdings wie eine Rechtfertigung, besser noch, wie eine Entlastung. Ich bezweifelte, ob selbst ein erfahrener Staatsanwalt diese Strategie begreifen würde. Ich jedenfalls konnte es nicht.
Noch immer hielt ich die Augen geschlossen; um meinen Kopf aber etwas zu klären, versetzte ich mir zwei oder drei schallende Ohrfeigen. Es war weniger der Schmerz als vielmehr die Überraschung des Schmerzes, die meine verworrenen Gedanken zumindest teilweise wieder ordnete. Etwas anderes vereitelte diesen Versuch aber fast vollständig. Zu den Gerüchen von Schweiß und Sex mischte sich nun überdeutlich der besondere Duft von Blut. Von sehr viel Blut.
Diesen meiner Sinne hatte ich vollkommen übersehen. Als ich unvorbereitet eine große Woge dieses schweren, süßlichen Gestanks einatmete, explodierte das Bild des Blutbades so deutlich vor meinem inneren Auge, dass ich glaubte, meinen Blick nicht einen Wimpernschlag lang von der Szene abgewendet zu haben. Keuchend torkelte ich zurück zur Tür. Ich musste hinaus. Mit ausgestreckten Armen, nur durch den Mund atmend, suchte ich mir meinen Weg. Erst im Durchbruch zum Korridor blieb ich stehen. Nie zuvor hatte ich den Geruch von altem Stein und Staub als derart angenehm empfunden.
Nachdem mein Magen keine Absichten auf weitere Extratouren erkennen ließ, fand ich langsam wieder die Kraft, zu sprechen.
»Was soll dieses verdammte Gerede von ›Unschuld‹ und ›nicht verantwortlich sein‹?«, stieß ich mühsam hervor. Die Tatsache, dass ich Mia dabei den Rücken zudrehte, erhöhte noch den Ausdruck der Abscheu, der hinter meinen Worten lag. »Die göttliche Sachmet sei die Übeltäterin, behauptest du also. Die wütende Löwin, die Herrin der Seuchen oder welchen verfluchten Titel du ihr auch immer noch geben willst. Es interessiert mich nicht! Alles nur Namen. Wertlose Worte, die schon seit Tausenden von Jahren vergessen sind!«, brüllte ich in den leeren Flur. Ganz bewusst vergaß ich dabei meine erst kürzlich gemachten Erfahrungen mit Zauberritualen, bei denen die Magie eines gesprochenen Wortes durchaus Leben oder Tod bewirken konnte. Ich sehnte mich endlich wieder nach einer Welt, in der es keine Geister, Halbgötter und Massaker gab. Ich wollte – vielleicht zum allerersten Mal während unserer Beziehung – befreit werden vom Fluch, der über Bastet, ihren verschiedenen Manifestationen und eben auch über ihrem Geliebten zu schweben schien. Zu diesem Zeitpunkt war dies natürlich nichts weiter als der Wunsch eines Narren. Niemand, der auch nur ein Quäntchen Verstand besaß, konnte ernsthaft erwarten, sich aus einer derart vertrackten Geschichte einfach wieder herauswünschen zu können. Der ›Point of no Return‹ lag bereits weit hinter mir.
»Ein Name tötet keinen Menschen!«, schrie ich wider besseren Wissens. »Aber Menschen tun es, Mia. Und solche seltsamen Kreaturen, wie du eine bist … Wie kannst du es nur wagen, deine Unschuld zu beteuern, wenn ich doch aus deinem eigenen Munde weiß, dass irgendwo in deiner finsteren Seele nicht nur das Wesen der Bastet, sondern auch das der Sachmet herrscht?! Du bist also beides, Mia. Ein göttliches Zwitterding. Eine gespaltene Persönlichkeit, gefangen zwischen Licht und Schatten. Ja, genau das bist du. Ein weibliches Janusgeschöpf. Wer könnte das besser beurteilen als ich?« Schnell schluckte ich meine aufsteigende Trauer für die für immer verlorene Natascha hinunter und fuhr fort: »Nicht ein Name hat Joy derart brutal ermordet. Nein! Es war diejenige, die sich hinter dem Namen Sachmet versteckt. Und das ist niemand anderes als du, Mia. Du warst es! Denn du bist Sachmet!«
Sie antwortete erst, als meine dröhnende Stimme im Raum verklungen war.
»Du magst mit vielem recht haben, Thomas«, entgegnete Mia in einem erstaunlich ruhigen und gefassten Ton, »aber in einem Punkt irrst du dich. Ich bin die leibhaftige Verkörperung der heiligen Katze von Bubastis, nicht jedoch die Mächtigste, die Herrin von Memphis und Dendera, die blutrünstige Löwengöttin von Ischeru.«
Ich wollte sofort einen zornigen Einwand vorbringen, als Mia noch etwas hinzufügte: »Wenigstens nicht jetzt. In diesem Augenblick bin ich nichts weiter als deine Mia, Thomas. Deine dich liebende
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