Katzendaemmerung
Worte riss es mich förmlich auf die Füße. »Aber Joy war nicht deine Feindin!«, rief ich, nun wieder ganz in der Rolle des Anklägers. »Warum musste sie sterben? Sie war doch keinerlei Bedrohung für dich. Verdammt, Mia, du hast schließlich mit dieser Frau geschlafen!«
Die trauernde Göttin senkte ihr Haupt und betrachtete eingehend den leblosen Körper, der in ihren Armen lag. Zärtlich strich sie der Toten eine blutverklebte Haarsträhne aus der Stirn; eine Geste, bei der ich sah, wie stark ihre Finger zitterten.
Für eine Weile glaubte ich, Mia hätte meine Anwesenheit vergessen, so versunken schien sie in ihrem Kummer. Als sie schließlich, nach einer halben Ewigkeit, dann doch sprach, zuckte ich vor Überraschung fast schmerzhaft zusammen.
»Ich habe ihren Tod nicht gewollt, das musst du mir glauben, Thomas.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. »Es … es war ein Unglück … ein schreckliches Versehen.«
Ungeachtet meines Grauens vor ihrem Thron, machte ich drei, vier große Schritte auf sie zu. Mein Zorn wirkte dabei wie ein Schild gegenüber diesem wahr gewordenen Albtraum. Nur mühsam gelang es mir, nicht völlig meine Beherrschung zu verlieren.
»Ein Versehen? Ohhh, mein Gott!« Ich breitete die Arme aus, um so das ganze Zimmer miteinzubeziehen – die grotesk verstümmelte Leiche, den Gestank, die nassen, zerwühlten Laken … und das Blut … das viele Blut. »Ich begreife den Grund für dies alles hier nicht. Ich bezweifle, ob ein Mensch überhaupt dazu befähigt ist. Ich weiß nur eins: Ein verdammtes VERSEHEN ist dafür nicht verantwortlich!« Ich spuckte ihr die Worte förmlich entgegen.
Der Körper, der früher einmal einer Frau namens Lindsay Quinlan gehört hatte, sackte noch weiter in sich zusammen.
»Ich verstehe deine Wut, Thomas«, flüsterte Mia, »aber ich weiß nicht, wie ich es anders bezeichnen soll. Es war ganz anders als sonst …«
Mutig kam ich noch einen Schritt näher; meine Beine berührten nun schon den Rand des Bettes. »Was willst du damit sagen: ›anders als sonst‹?«
Mia blickte mich mit tränennassen Augen an; winzige Sterne flackerten in einem All aus Schwarz. Es waren Taschas Augen. Doch was bedeutete das? Musste ich mittlerweile nicht auch mein verklärtes Bild von Natascha revidieren? Möglicherweise hatte ich in ihr stets immer nur das gesehen, was ich auch sehen wollte. Eine Traumfrau mit einigen seltsamen Geheimnissen. In meiner Naivität hatte ich nicht bemerkt, dass diese ›kleinen Geheimnisse‹ ihre ganze Persönlichkeit ausmachten. Und keines war dabei so trivial wie das anderer Frauen gewesen. Wenn ich es abgeklärt betrachtete, so musste ich mich fragen, ob ich überhaupt jemals einen noch so winzigen Teil von Taschas wirklichem Wesen kennengelernt hatte. Eine zutiefst beunruhigende und deprimierende Vorstellung.
»Bei früheren Gelegenheiten kündigte sich das Kommen der mächtigen Sachmet immer an«, unterbrach Mia meine Gedanken. »Ich spürte ihre Gegenwart, und trotz ihrer oft ungezügelten Blutgier verliehen mir Neith und Re stets Macht über sie … Ich konnte sie kontrollieren. Wenn sie dann doch in meinen Leib fuhr, so geschah dies immer nur dann, wenn ich es auch wollte. Wenn es einer der Feinde der Bastet verdient hatte, vom Antlitz der Erde hinweggefegt zu werden.«
Gebannt starrte ich auf ihre Hände, die sich bei diesen leidenschaftlichen Worten zu Fäusten geballt hatten.
»Und dieses Mal?«, hakte ich nach. »Was geschah dieses Mal?«
Ihr Blick irrte ziellos im Raum umher.
»Es gelang der Herrin des Baumes, mich zu überlisten. Sie nutzte die Tatsache, dass ich mit meiner neuen Sarx noch nicht ausreichend vertraut war. Noch bevor ich etwas dagegen tun konnte, nahm die unheilvolle Flamme der großen Löwin von mir Besitz. Ich … ich war wehrlos … wie eine Puppe. Als ich die Kontrolle endlich zurückgewann, war es bereits zu spät.« Wie eine Schamanin streckte sie ihre Arme zur Decke. »Diese meine eigenen Hände hatten ihr schreckliches Werk schon beendet.«
Ich zögerte. Ich war nicht gerade das, was man einen erfahrenen Richter nannte. Welches Urteil sollte ich nur über jemanden fällen, der zwar einerseits seine Unschuld beteuerte, gleichzeitig aber im Blut seines Opfers badete?
»Es bleibt aber doch unbestritten, dass du es warst, zumindest deine leibliche Hülle, die diese Tat begangen hat«, resümierte ich. »Du hast die Kontrolle über diesen geborgten Körper verloren, Mia. Und darum
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