Kein Augenblick zu früh (German Edition)
würde, um denjenigen dingfest zu machen, der euch das angetan hat. Und ich auch.« Wieder folgte ein langer, durchdringender Blick.
Ich lehnte mich zurück und betrachtete Jack, der regungslos im Bett lag. Wenn Sara wusste, dass die Einheit meine Mutter gefangen hielt, hatte sie glatt den Oscar als beste Schauspielerin verdient. Ihr Verhalten war absolut überzeugend. Aber warum wehrte sich mein Instinkt immer noch dagegen, mich ihr anzuvertrauen? Weil zu viel auf dem Spiel stand? Weil unser Gespräch abgehört wurde? Oder – weil ich ihr trotz allem einfach nicht ganz glaubte?
25
Mein Vater starrte mich an, als sei ich plötzlich im Clownskostüm hereingetanzt und hätte in fließendem Japanisch ein Liedchen geträllert.
»Er hat dich auf einen Kaffee eingeladen?«, stieß er fassungslos hervor.
»Ganz ruhig, Dad. Es geht nur um einen Kaffee.«
»Äh, na gut …«
Mein Vater hatte sich nie mit dem Lila-und-die-jungen-Männer-Problem auseinandersetzen müssen, ganz einfach, weil ich noch nie einen Freund gehabt hatte – bis vor Kurzem jedenfalls. Aber von Alex wusste er noch nichts. Sicher, wir hatten zwar die ganzen Kino-Popcorn-Fummeln-Knutschen-Phasen ausgelassen, aber Alex und ich waren wirklich zusammen. Glaubte ich zumindest. Wir hatten nur nicht viel Zeit gehabt, darüber zu reden. Vielleicht würden wir eines Tages einmal ein richtiges Date haben können. Und uns wie ganz normale junge Leute verhalten – nicht wie ein mutierter Teenager mit telekinetischen Fähigkeiten und ein Spezialkommandotyp, der eigentlich darauf trainiert war, den mutierter Teenager umzulegen.
»Nichts Ernstes«, flüsterte ich Dad zu, weil Jonas direkt vor der Tür stand.
»Ja, gut, in Ordnung …« Offensichtlich hatte Dad ein bisschen Probleme, mich und einen Jungen in einem einzigen Satz unterzubringen, von einem einzigen Raum ganz zu schweigen, und sei es nur auf einen Kaffee. »Schon okay. Wenigstens bist du in Sicherheit. Ihr bleibt doch auf dem Campgelände, oder?«
»Klar, Dad, wir bleiben hier. Unten in der Cafeteria.«
»Okay.« Er nickte mir zu und ich rutschte verlegen auf meinem Stuhl hin und her. Wie würde er nur reagieren, wenn er erfuhr, wo ich mich vor ein paar Tagen mit Alex herumgetrieben hatte?
Ich küsste Jack zum Abschied auf die Stirn. Immer noch dieses Piepen. Und keinerlei Reaktion von ihm.
Vor der Tür wartete Jonas, die Waffe quer über der Brust.
»Hi, Lila«, sagte er strahlend. Wieder verstörte mich der Kontrast zwischen seinem jungenhaften, unbeschwerten Grinsen und der großen schwarzen Tötungsmaschine in seinen Händen. Wieso mussten sie so junge Leute rekrutieren? Auch Jack und Alex waren kaum älter als Jonas gewesen, als sie von der Einheit angeworben wurden.
»Ich muss nur noch auf meine Ablösung warten«, sagte Jonas und deutete mit dem Kopf auf Jacks Zimmertür.
»Okay. Ich geh schon mal runter und besorge den Kaffee«, sagte ich und hoffte, dass mein Lächeln herzlich und flirtend wirkte, obwohl sich mir fast der Magen umdrehte.
Die Cafeteria war im Erdgeschoss und bestand aus ungefähr zehn Plastiktischen und einem Kaffeetresen auf einer Seite. An einem der hinteren Tische entdeckte ich Dr. Roberts mit zwei Krankenschwestern. Er lächelte mir zu.
Ich holte Kaffee und aus einer spontanen Laune heraus kaufte ich auch eine Packung Kekse. Vielleicht konnte ich Jonas damit bestechen, falls es mir nicht gelang, mit ihm zu flirten. Vom Flirten hatte ich nämlich null Ahnung. Der Beweis dafür waren die vielen fehlgeschlagenen Versuche der letzten Wochen und Jahre, Alex zu verführen. Außerdem kam es mir total bescheuert vor, überhaupt mit Jonas zu flirten. Wie Verrat. Selbst wenn ich durch die Umstände dazu gezwungen war.
Über dem Keksteller schob sich plötzlich der schwarze Lauf einer Waffe in mein Blickfeld. Es wirkte irgendwie symbolisch, für was auch immer. Mein Blick huschte instinktiv zum Sicherungshebel. Seltsam, dass ich mich schon wie ein Profi aufführte, wo Alex mir erst vor ein paar Wochen beigebracht hatte, wie man eine Pistole hielt.
»Hm – nimmst du immer eine Knarre zum Date mit?«, fragte ich.
Jonas’ Gesicht leuchtete auf. »Dann ist das hier also ein Date?«
Einen Moment lang tat er mir wirklich leid. Ich nutzte ihn kaltblütig aus. Dann fiel mir ein, für wen er arbeitete, und meine Schuldgefühle verpufften.
Jonas ließ sich auf einen Stuhl fallen und lehnte die Waffe gegen ein Tischbein. Ich schob ihm seinen Kaffeebecher hin.
»Wie
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