GK266 - Die weiße Göttin
Bara stieß einen krächzenden Schrei aus. Sie warf die Decke zur Seite und schnellte aus dem Bett. Das hauchdünne Baby-Doll-Nachthemd, das mit weißen Spitzen besetzt war, flatterte um ihre schwellenden Hüften, als sie zur Tür rannte.
»Bara!« brummte der Dämon ärgerlich. »Lauf nicht weg! Bleib hier!«
Das Mädchen hörte nicht auf ihn.
Es riß die Schlafzimmertür auf und hastete durch den Livingroom. Sie warf einen Stuhl um, stieß gegen den schweren Marmortisch, streifte die Anrichte und fegte unabsichtlich mit der Hand eine Sherry-Flasche herunter. Die Flasche polterte auf den Boden, zerbrach nicht, rollte bis zur Wand und blieb dort liegen, während Bara in namenloser Angst die Apartmenttür zu erreichen versuchte.
Bara arbeitete als Dolmetscherin in Mombasa.
Sie begleitete Wirtschaftsdelegationen, Naturforscher und Politiker auf ihren Reisen durch Ostafrika und konnte von ihren Einkünften sehr gut leben. Nur ihre Freizeit war karg bemessen. Deshalb hatte sie auch keinen festen Freund. Die Zeit reichte zumeist nur für ein kurzes, flüchtiges Abenteuer. Danach verlangte Baras Job von ihr schon wieder den totalen Einsatz.
Im Schlafzimmer löste sich das Dämonengesicht von der Wand.
Bara jagte wie von Furien gehetzt durch die Diele. Sie sah sich kurz im Spiegel und erschrak. Namenlose Panik verzerrte ihre Züge. Todesangst hämmerte in ihren Schläfen.
Weg! Weg! Raus aus der Wohnung! schrie es in ihr, und sie wußte – oder glaubte zu wissen, daß sie um ihr Leben lief.
Als sie ihre Hand auf die Türklinke legte, fauchte der Dämon, der ihr folgte: »Bleib!«
Das verstörte Mädchen wollte die Tür trotzdem aufreißen, doch sie schien zu klemmen. Bara riß und rüttelte an der Tür. Es war ihr nicht möglich, sie aufzumachen.
Etwas schien die Tür mit großer Kraft zuzuhalten. Bara blickte sich um.
Cynagok, der Dämon, kam aus dem Livingroom. Er war groß. Und sein Körper sah genauso aus wie sein abstoßendes Gesicht. Keine Stelle seines Leibes war mit Haut bedeckt.
Cynagok lachte gehässig. »Wenn ich nicht will, daß du diese Wohnung verläßt, dann schaffst du das nicht!«
»Wer… wer sind Sie?« schrie Bara entsetzt.
Der Dämon blieb nicht stehen. Er kam immer näher.
»Ich bin Cynagok. Kein erbärmlicher Mensch, sondern ein Abkomme aus den Dimensionen des Schreckens. Deshalb kann niemand mir auf dieser Welt etwas anhaben. Ich bin unsterblich, und ich werde auch dich unsterblich machen, Bara.«
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf. »Ich will nicht…«
»Was willst du nicht?« fragte der Dämon lachend. »Du willst nicht unsterblich werden?«
»Ich habe Angst. Wie kommen Sie in mein Apartment?«
»Oh, so etwas stellt für mich kein Problem dar, Bara. Ich kann sehr viele Dinge tun. Du würdest staunen…«
»Bitte gehen Sie!«
»Fällt mir nicht im Traum ein!« erwiderte der Dämon. »Meine Wahl ist auf dich gefallen. Du solltest dich darüber freuen, denn ich werde dich mit unglaublichen Fähigkeiten und großer Kraft ausstatten. Du spielst in meinem Plan eine beachtliche Rolle…«
Das Mädchen starrte den Dämon entgeistert an. »In… Ihrem Plan?«
Cynagok grinste scheußlich. Er roch nach Schwefel und Fäulnis. »Du und ich – wir haben Dinge vor, die vielleicht sogar den Lauf der Welt verändern werden, Bara.«
Das Mädchen schluckte bestürzt. »Was… was haben Sie mit mir vor?« fragte sie krächzend.
Cynagok kam noch einen Schritt näher. Bara hatte den Eindruck, seine Füße würden den Boden nicht berühren. Er war schwer. Er überragte das Mädchen um mehr als einen Kopf. Schaudernd blickte sie zu ihm auf. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn, während ihr Herz wie verrückt gegen die Rippen trommelte.
Sie konnte nicht verstehen, wie es zu dieser unheimlichen Begegnung kommen konnte. Bara war ein anständiges, sittsames Mädchen. Nicht besonders religiös. Aber auch keine Atheistin.
Sie war so wie Hunderte Mädchen in Mombasa.
Deshalb konnte sie nicht begreifen, daß ausgerechnet ihr so etwas Grauenvolles passierte.
»Ich werde dich zur weißen Göttin machen!« sagte Cynagok hart. Der Ton, in dem er gesprochen hatte, ließ keinen Widerspruch zu.
Bara streckte ihm ihre zitternden schwarzen Hände entgegen. »Wieso weiß? Ich bin schwarz, eine Negerin!«
»Ich werde dich weiß machen!«
»Ich will nicht weiß werden!«
»Du hast nichts zu wollen!« herrschte Cynagok das Mädchen an.
Bara zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Sie warf sich
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