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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Das erste Kapitel
    Um sich den Lebensunterhalt als reitender Bote zu verdienen, pflegte Aplegatt den frisch eingestellten jungen Männern zu sagen, braucht man zweierlei: einen hellen Kopf und einen eisernen Hintern.
    Der helle Kopf ist unerlässlich, belehrte Aplegatt die jungen Boten, denn unter der Kleidung, in dem flachen, auf der blanken Haut liegenden Lederbeutel trägt der Bote nur Nachrichten von geringerer Bedeutung, die man ohne zu zögern dem verräterischen Papier oder Pergament anvertrauen kann. Die wirklich wichtigen, geheimen Botschaften, diejenigen, von denen vieles abhängt, muss er sich merken und dem Empfänger aufsagen. Wort für Wort, und manchmal sind das schwierige Wörter. Man kann sie schlecht aussprechen und noch schlechter behalten. Um sie sich zu merken, um sich beim Aufsagen nicht zu irren, braucht man einen wahrlich hellen Kopf.
    Was aber den eisernen Hintern angeht, oho, das merkt jeder Bote sehr schnell selber, wenn er drei Tage und drei Nächte im Sattel sitzen muss, hundert oder zweihundert Meilen auf der Landstraße zurücklegen, gelegentlich auch über Stock und Stein. Freilich, man sitzt nicht ständig im Sattel, manchmal steigt man ab, macht eine Erholungspause. Denn der Mensch hält viel aus, das Pferd aber weniger. Doch wenn man nach der Rast wieder aufsteigen muss, ist es, als riefe der Hintern: »Zu Hilfe, man bringt mich um!«
    Aber wer braucht denn noch reitende Boten, Herr Aplegatt, wunderten sich die jungen Leute mitunter. Von Vengerberg nach Wyzima beispielsweise schafft es niemand schneller als in vier oder gar fünf Tagen, selbst wenn er auf dem schnellsten Renner galoppiert. Und wie lange braucht ein Zauberer in Vengerberg, um einem Zauberer in Wyzima eine magische Botschaft zukommen zu lassen? Eine halbe Stunde vielleicht oder nicht einmal das. Dem Boten kann das Pferd lahm werden. Ihn können Räuber oder die Eichhörnchen ermorden, Wölfe oder Greifen können ihn zerreißen. Und schon ist er weg, der Bote. Aber eine Zauberbotschaft kommt immer an, die verirrt sich nicht, verspätet sich nicht, geht nicht verloren. Wozu Boten, wenn es überall Zauberer gibt, an jedem Königshof? Boten werden nicht mehr gebraucht, Herr Aplegatt.
    Eine Zeitlang hatte auch Aplegatt geglaubt, niemand bedürfe seiner mehr. Er war sechsunddreißig Jahre alt, klein, aber stark und sehnig, er scheute keine Arbeit und hatte, versteht sich, einen hellen Kopf. Er hätte eine andere Arbeit finden können, um sich und seine Frau zu ernähren, um ein paar Groschen für die Mitgift der beiden noch ledigen Töchter beiseitezulegen, um die verheiratete weiterhin zu unterstützen, deren Mann, ein hoffnungsloser Schlemihl, partout auf keinen grünen Zweig kam. Doch Aplegatt wollte keine andere Arbeit und konnte sich keine andere vorstellen. Er war königlicher berittener Bote.
    Und plötzlich, nach einer langen Zeit der Vergessenheit und bedrückenden Untätigkeit, wurde Aplegatt wieder gebraucht. Die Landstraßen und Waldwege hallten abermals vom Hufschlag wider. Wie in alter Zeit durchmaßen Boten das Land, brachten Nachrichten von Stadt zu Stadt.
    Aplegatt kannte den Grund. Er wusste vieles, und noch mehr hörte er. Von ihm wurde erwartet, dass er den Inhalt der übermittelten Botschaft sofort aus dem Gedächtnis löschte, ihn vergaß, damit er sich nicht einmal unter der Folter daran erinnern könnte. Doch Aplegatt erinnerte sich. Und er wusste, warum die Könige plötzlich aufgehört hatten, mit Hilfe von Magie und Magiern zu kommunizieren. Die Mitteilungen, die die Boten überbrachten, sollten vor den Zauberern geheim gehalten werden. Die Könige trauten auf einmal den Zauberern nicht mehr, vertrauten ihnen ihre Geheimnisse nicht mehr an.
    Was diese plötzliche Abkühlung der Freundschaft zwischen Königen und Zauberern ausgelöst hatte, wusste Aplegatt nicht, und es kümmerte ihn auch nicht besonders. Wie die Könige waren auch die Magier seiner Ansicht nach unverständliche Wesen, unberechenbar in ihren Taten – insbesondere, wenn schwere Zeiten kamen. Und dass schwere Zeiten heraufzogen, war unmöglich zu übersehen, wenn man das Land von Stadt zu Stadt, von Schloss zu Schloss, von Königreich zu Königreich durchmaß.
    Die Straßen waren voller Soldaten. Auf Schritt und Tritt traf man auf Infanterie- oder Kavalleriekolonnen, und jeder Befehlshaber, dem man begegnete, war nervös, ängstlich, aufbrausend und tat so wichtig, als hinge das Schicksal der ganzen Welt nur von ihm ab. Auch die

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