Kein bisschen Liebe
Geld und Ware gefehlt, und …«
»Und da hat der Geschäftsführer sie rausgeworfen?«
»Nein. Sie hat sich’s raussuchen dürfen. Entweder sie geht, ohne zu mucken, oder er ruft die Polizei.«
»Sieht mir so aus, als hätte der Geschäftsführer sie gelinkt.«
Die Mulattin durchbohrte mich mit ihren Blicken und entfernte sich ans andere Ende des Tresens. Der Geschäftsführer war wohl ihr Macker oder ihr Bruder. Irgendetwas war. Ich fragte noch einmal nach:
»Kannst du mir wirklich keine Adresse von ihr geben?«
»Nein.«
Ich trank mein Bier aus und ging. Nicht weit von dort, bei Martica in der Wohnung, gibt es eine illegale Videothek. Heutzutage ist fast alles verboten. Ich fragte, ob sie den Film Dick Tracy hätten. Nein. Ein paar Verwandte in Miami seien drauf und dran, ihn zu beschaffen, und Batman und Superman dazu. Ein paar Sexstreifen würden sie auch herbringen. Martica pries mir ihre Ware an:
»Sind alles Originale, direkt aus den USA. Und die Pornos sind sechs Stunden lang. Kosten zehn Pesos pro Tag.«
»Ist gut. Wenn ihr sie habt, komme ich Dick Tracy und Batman ausleihen.«
Martica lächelte und sagte: »Jetzt, wo ich genau hinsehe, Sie sehen aus wie Batman.«
»Wie Batman oder wie Dick Tracy?«
»Wie alle beide.«
»Hahaha. Das ist ja abgefahren. Wir sehen uns. Ciao.«
Ich kaufte eine Pulle Rum und ging zum Strand. Es war schon dunkel geworden, und eine Brise wehte. Sehr angenehm, im Sand zu sitzen und Rum zu trinken, im Dunkeln und in der Stille. Mir ging durch den Kopf, dass es vielleicht wirklich stimmte und wir in einem Comic lebten. Versunken in Absurdität und Unwirklichkeit.
Wie ein wildes Tier
Miriam ruft mich am Nachmittag an. Wir haben uns seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Sie kommt nicht nach Zentral-Havanna, und ich fahre nicht nach Guanabacoa. Wir tauschen Floskeln aus. Schließlich kommt sie zur Sache:
»Ich hab vorgestern abgetrieben.«
»Ach du Scheiße!«
»Sie waren schon fast zwei Monate.«
»Sie?«
»Es waren Zwillinge.«
»Äh … und, geht’s dir gut?«
»Ich hab viel Blut verloren. Mein Hämoglobinwert liegt bei 9.«
Ich sage nichts. Dann gebe ich mir einen Ruck:
»Waren die wohl von deinem Mann oder von mir?«
»Ist das alles, was dich beschäftigt?«
»Nein, aber … ich weiß nicht …, ist doch wahrscheinlicher, dass sie von ihm waren.«
»Das kann man nicht wissen. Warum soll das wahrscheinlicher sein?«
»Weil du’s öfter mit ihm treibst als mit mir.«
»Das stimmt nicht. Man kann nie wissen.«
»Wann sehen wir uns?«
»Wann du willst. Ruf mich an.«
»Ist gut. Ich ruf dich morgen an. Pass auf dich auf. Was lässt sich gegen diese Anämie machen?«
»Weiß nicht. Ich hab kein Geld, und Fleisch oder sonstwas gibt’s auch nicht. Man kriegt ja nicht mal Eier.«
»Wenn wir uns sehen, geb ich dir Geld. Du musst Fleisch essen. Was isst du jetzt?«
»Was da ist: Reis mit Bohnen. Ich hab keine Dollars.«
»Also gut, Miriam, okay. Mach dir keine Sorgen. Morgen fahr ich zu dir, und wir finden eine Lösung. Beruhige dich.«
»Komm bitte wirklich. Ich hab Lust, dich zu sehen.«
»Ich will dich auch sehen. Ich küss dich. Ciao.«
»Ciao, mein Schatz.«
Ich legte auf und blieb nachdenklich sitzen. Ich will mich eigentlich nicht so sehr mit Miriam einlassen. Und auch mit keiner anderen Frau. In den letzten Monaten, seit Julia mich verlassen hat, haben wir uns ziemlich häufig getroffen. Und über den Sex haben wir angefangen, einander ins Herz zu schließen. Das geht nicht. Ich will allein sein. Ich brauche Stille und Einsamkeit. Auf jeden Fall muss ich sie jetzt sehen, ihr Geld geben und ihr helfen, Fleisch aufzutreiben. Sie muss sich erholen. Anämie ist für Schwarze besonders gefährlich. Viel schlimmer als bei Weißen.
Es war fünf Uhr nachmittags. Ich schaltete den Fernseher ein. Es liefen Nachrichten von der Katastrophe: dem Anschlag auf die Twin Towers. Chaos und Wahnsinn verrichten weiter ihr Zerstörungswerk. Ich zog mir Schuhe an und fuhr nach El Calvario. Wenn mich etwas quält, kehre ich in den Mutterschoß zurück. Ich verkrieche mich in Fötushaltung.
Der Bus brauchte ziemlich lange. War ja klar. Ist eher komisch, wenn mal was funktioniert. Als ich bei meiner Mutter ankam, war es schon dunkel. Es ging auf acht zu. Auf der Straße fand eine kleine Versammlung statt. Man hatte eine Tribüne aufgestellt und Fahnen gehisst. Aus den Lautsprechern klangen Hymnen. Auf einem großen Plakat stand: »Wir sind gegen Krieg und
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