Zuckersueßes Chaos
Kapitel 1
»Und? Wie war dein erster Tag?«, fragte Vicky und setzte sich mir gegenüber. Ihr seidenblondes Haar fiel in welligen Strähnen von den Schultern und ihr knallroter Lippenstift lächelte mich an. Vicky war der Traum aller Männer.
Dunkelgrüne unergründliche Augen, volle weiche Lippen, ein zierlicher Körper und süße Pausbäckchen. Seit ich sie kannte, liefen ihr die Männer scharenweise hinterher und Vicky? Nun ja, Vicky empfing sie stets mit offenen … äh Armen. Ich biss von meinem selbst belegten Brot ab und grinste.
»So wie du das sagst, klingt es, als hätte ich gerade meinen ersten Grundschultag hinter mir.«
»Grundschule, Uni, ist doch kein Unterschied«, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. Victoria war meine Cousine väterlicherseits und Eigentümerin meines neuen Wohnsitzes. Als ich mich für das Studium entschieden hatte, war ich zu ihr in die Nachbarstadt gezogen und konnte ab sofort einen kleinen Teil ihres Palastes mein Eigen nennen. Mein Onkel und meine Tante waren sehr vermögend und hatten ihrer Tochter zur
Einschulung
einfach mal so ein Haus mitsamt Grundstück geschenkt – wobei Haus beinahe untertrieben war. Für mich hatte das weiße Gebäude mit seinen unzähligen Verwinkelungen und märchenhaften Fenstern eher etwas Villenhaftes.
Meine Cousine hatte mir angeboten, unentgeltlich bei ihr zu wohnen, aber ich hatte darauf bestanden, ihr einen angemessenen monatlichen Betrag zu zahlen - womit sie anfangs überhaupt nicht einverstanden war. Als ich jedoch damit drohte, das Geld notfalls in den Blumenkübeln zu verstecken, hatte sie schließlich eingelenkt.
Ich wusste, dass es ihr unangenehm war, von mir Geld zu nehmen, schließlich kannte sie so etwas wie Geldnot nicht, doch ich konnte es einfach nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, auf ihre Kosten zu leben. Denn Strom, Lebensmittel und Reparaturkosten mussten ja schließlich auch übernommen werden.
Vicky und ich hatten uns schon von klein auf super verstanden und da wir nur einen Bundesstaat voneinander entfernt wohnten, waren wir auch immer in Kontakt geblieben und trafen uns etwa alle zwei Monate, um auszugehen oder einen Mädelsabend zu machen. Der Entschluss, Geschichte zu studieren, war eher spontan gewesen, weshalb ich mehr als froh war, überhaupt noch einen Platz an der Uni bekommen zu haben.
Ich wurde allerdings den Eindruck nicht los, dass Onkel John heimlich hinter der Kulisse Fäden gezogen hatte, denn er förderte eine Menge schulische Einrichtungen und pflegte deshalb viele Kontakte. Vor zwei Wochen war ich mit meinem Hab und Gut umgezogen und hatte mir von Vicky die zentralen Plätze der Stadt zeigen lassen – wobei diese mehr Landschaft als Stadt war. Die Einkaufszentren und Bars kannte ich natürlich schon, aber das ganze Grün hatte ich an den Partywochenenden nie richtig genießen können.
Jetzt, da ich hier wohnte, würde ich den Grünanlagen und Wäldern definitiv mehr Aufmerksamkeit schenken. Ich war noch einmal nach Hause zurückgefahren, hatte den ganzen Papierkram erledigt und mich von meinen Freunden und Eltern verabschiedet und seit drei Tagen wohnte ich offiziell hier. Jetzt, da Vicky es ansprach, fühlte ich mich tatsächlich an den ersten Schultag erinnert. Man kannte niemanden, wusste nicht, wo welcher Saal lag, verlor auf dem großen Gelände die Orientierung und fühlte sich bei jedem Schritt beobachtet – zumindest ging es mir so. Ich wartete nur darauf, dass jemand mit dem Finger auf mich zeigte und
Frischfleisch
rief. Doch eh ich mich weiter in meine Gedanken verfangen konnte, fragte Vicky:
»Pünktlich zum Semesteranfang steigt heute Abend eine Party. Bist du dabei?« Sie griff nach dem Buch, das ich mir aus der Bibliothek ausgeliehen hatte und blätterte lustlos darin herum. Ich schüttelte den Kopf.
»Das Semester hat gerade erst angefangen und du willst schon feiern?« Sie schlug das Buch zu und sah mich an, als hätte ich etwas Abartiges gesagt.
»Hallohoo! Semesteranfang? Einführungsparty? Von welchem Planeten kommst du denn bitte?« Ich nahm ihr das Buch aus der Hand und verstaute es in meiner Tasche.
»Ja, aber finden die Einführungsparties nicht auf dem Unigelände statt?«
»Na klar und dann stoßen wir mit unseren Professoren auf einen Sekt an und machen Ringeltanzen«, antwortete sie augenverdrehend.
»Ich meinte eine Party für Erwachsene, Claire! Außerdem ist das die Gelegenheit für dich, neue Leute kennenzulernen. Und wir alle wissen, dass
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