Kein bisschen Liebe
Jahre!«
»Und die schlechtesten?«
»Oh, es ist nicht gesund, sich daran zu erinnern.«
»Sagen Sie schon.«
»Die fingen an, als ich nach Rapid City zurückkam. Das werde ich mein Leben lang bereuen. Ich hätte nie von hier weggehen sollen. Es war, wie wenn man … das Paradies verlässt … oh …«
Mir kam es vor, als wäre sie nicht ganz klar im Kopf. Sie wandte den Blick ab und sah hinaus aufs Meer. Dann steckte sie die Fotos ein. Sie strich sich die Haare glatt.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
»Oh, nein. Nur keine Umstände.«
»Das macht keine Umstände.«
Ich kochte Kaffee. Thomas lehnte ab. Er trank nur Mineralwasser aus einer Flasche, die er in einem Rucksack bei sich trug. Margaret machte sich nicht die Mühe, etwas für ihren Mann zu übersetzen. Er zückte eine Kamera und fotografierte uns auf der Dachterrasse. Dann machte er ein paar Landschaftsaufnahmen. Währenddessen unterhielten Margaret und ich uns noch ein wenig.
»In den drei Penthouse-Wohnungen wohnten nur Amerikaner. Ohne Kinder und Hunde.«
»Ich weiß das alles. Die letzte Amerikanerin ist erst vor ein paar Jahren gestorben.«
»Es ist ein wunderschöner Ort. Ich habe nie an einem so schönen Ort gelebt.«
»Ja, es ist ein Privileg.«
»Haben Sie hier eine Amerikanerin kennengelernt?«
»Nein, nein.«
Ich wollte das Thema nicht vertiefen. Schweigen ist Gold. Aber ich wusste alles. Einer ihrer früheren Nachbarn war im Gefängnis gelandet, mit einer zwanzig Jahre langen Haftstrafe wegen einer sehr hässlichen Angelegenheit. Die andere hatte ihre letzten Lebensjahre in Angst verbracht, eingesperrt hinter zahllosen Gitterstäben und Schlössern. Am Ende habe ich nie erfahren, ob sie eine international tätige kommunistische Agentin war, die vom FBI verfolgt wurde, wie sie mir eines Tages gesagt hatte. Oder ob sie – nach einer anderen Version – eine Nazi-Schergin gewesen war, die in einem deutschen KZ gearbeitet hatte. Jedenfalls verfolgt, aufgespürt und mit dem Tode bedroht. Schließlich starb sie auf schreckliche Weise. Es waren zwei qualvolle, furchtbare Leben gewesen. Ich weiß das alles. Aber es ist noch nicht an der Zeit, über diese zwei Amerikaner zu schreiben. Ich bin nicht zum Kamikaze berufen. Vielleicht ist Margaret gerade noch davongekommen, aber sie hat keinen Schimmer. Wir sahen uns an und lächelten wortlos. Das reichte schon. Margaret entschuldigte sich, und die beiden gingen. An der Tür warf sie einen Blick auf den Bücherstapel. Obenauf lag ein Shakespeare-Band. Sie nahm ihn in die Hand und fragte:
»Und den werfen Sie auch weg?«
»Ja. Ich hasse Shakespeare.«
»Oh, Sie sind ein Ketzer.«
»Und was für einer.«
Sie lächelte sanft, und ich fand sie ganz bezaubernd. Die Welt ist voller bezaubernder Frauen. Sie tauchen immer wieder auf. Sie legte das Buch zurück zu den anderen, und die beiden machten sich vorsichtig auf den Weg die Treppen hinunter. Dabei wiederholten sie ein paar höfliche Floskeln und Abschiedsworte. Auch ich sagte ein paar Höflichkeiten und schloss die Tür.
Du siehst aus wie Dick Tracy
Allein leben ist sehr gut. Julia beginnt langsam zu verblassen. Mein Geist gewinnt nach dem Sturm an Ruhe und Sicherheit. In der Abenddämmerung gehe ich den Hügel hinunter und betrete eine Bar nahe am Strand. Wenn ich allein zu Hause bleibe, leere ich womöglich eine Flasche Rum und lege mich am Ende betrunken ins Bett, schmutzig, ohne geduscht und gegessen zu haben. Das geht nicht. Sooft ich den Willen dazu aufbringe, meide ich die nächtliche Einsamkeit und gehe in die Bar. Dort stehen zwei Billardtische. Ich trinke Bier und übe ein paar Stöße über Bande. Es gelingt mir, mich auf die Karambolagen zu konzentrieren und die Versuchung des einsamen Rums zu vergessen.
Ich habe nachgerechnet: Meinen ersten Suff hatte ich an Weihnachten 1967. Ich war siebzehn und mit meiner ersten Freundin zusammen. Seitdem sind fünfunddreißig Jahre vergangen, in denen ich stark getrunken habe. Ich musste einige Male Galle spucken, neben anderen schlimmen Erlebnissen, die man besser vergisst. Ich nehme an, meine Leber ist beste Qualität, denn anscheinend hat sie’s gut überstanden.
Na ja, ich meide den Alkohol, sooft ich kann. Ich angle am Strand. Ich spiele Billard. Ich fahre mit dem Fahrrad herum und lese ein wenig. Jeden Tag gibt es mehr Bücher und weniger zum Lesen.
Gegenüber der Bar ist eine Cafeteria mit zwei oder drei Tischen davor. Eigentlich ist es nur ein billiger kleiner Stand. Sie
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