Kein Durcheinander
im Arbeitszimmer der Ballistic-Cottage – vertieft in seine Zahlen, als die Klingel des Telephons wieder einmal fieberhaft anschlug.
»Hallo!… Hallo!… klang es aus der Schallplatte, deren kräftige Schwingungen auf eine lebhafte Unruhe der sprechenden Person deuteten.
– Wer ruft mich? fragte J. T. Maston.
– Mistreß Scorbitt.
– Was wünschen Sie, Mistreß Scorbitt?
Der Präsident Barbicane war nicht mehr hier. (S. 110.)
– Sie zu warnen!… Eben erhalte ich die Nachricht, daß noch an diesem Abend…«
Der Satz war noch nicht zu J. T. Maston’s Ohren gedrungen, als die Thür der Ballistic-Cottage plötzlich mit roher Gewalt gesprengt wurde.
Auf der nach dem Arbeitszimmer führenden Treppe entstand ein betäubender Lärm.
Zankend erscholl da eine Stimme; andere suchten diese verstummen zu machen. Dann hörte man den Fall eines schweren Körpers.
Es war der Neger Fire’Fire, der von Stufe zu Stufe hinabrollte, nachdem er vergeblich versucht hatte, das »Home« seines Herrn gegen die Eindringlinge zu vertheidigen.
Einen Augenblick später ging die Thür des Cabinets in Trümmer und in derselben erschien ein Constabler in Begleitung einer Schaar Polizisten.
Dieser Constabler hatte Befehl, in der Cottage eine Haussuchung vorzunehmen die Papiere J. T. Maston’s zu confisciren und sich der Person des Letzteren zu bemächtigen.
Der heißblütige Schriftführer des Gun-Club ergriff einen Revolver und bedrohte die Angreifer mit einem sechsfachen Knalle.
Dank der Ueberzahl wurde er im ersten Augenblicke entwaffnet und die Hand des Staates legte sich auf seine mit Formeln und Ziffern bedeckten Papiere, welche auf dem Schreibtische ganze Haufen bildeten.
Plötzlich gelang es J. T. Maston durch eine dreiste Bewegung, sich eines Notizbuches zu bemächtigen, das wahrscheinlich seine gesammten, hier in Frage kommenden Berechnungen enthielt.
Die Polizisten fielen über den Aermsten her, um es ihm nöthigen Falls mit seinem Leben wieder zu entreißen.
In aller Hast vermochte J. T. Maston jedoch das letzte Blatt desselben herauszureißen und dieses, zusammengerollt wie eine simple Pille, zu verschlingen.
»Jetzt nehmt mir’s einmal!« rief er im Tone eines Leonidas bei den Thermopylen.
Eine Stunde später saß J. T. Maston im Gefängniß von Baltimore.
Das war jedenfalls ein großes Glück für ihn, denn die Bevölkerung der Stadt hätte sich gewiß noch zu den schlimmsten, für ihn beklagenswerthesten Ausschreitungen gegen den großen Rechenmeister hinreißen lassen, ohne daß die Polizei im Stande gewesen wäre, diese zu verhindern.
Elftes Capitel.
Was sich in J. T. Maston’s Notizbuch findet, und was sich nicht darin findet.
Das durch die Polizei von Baltimore beschlagnahmte Notizbuch enthielt einige dreißig, mit Formeln, Gleichungen und zuletzt mit Zahlenangaben bedeckte Seiten, welche das Gesammtergebniß der Berechnungen J. T. Maston’s darstellten. Es war eine ins Gebiet der höheren Mechanik fallende Arbeit, welche nur Mathematiker richtig zu würdigen verstanden. Da fand sich unter anderen jene Gleichung der lebendigen Kraft welche schon in dem Probleme der beabsichtigten Reise nach dem Monde vorkam, wo sie übrigens den relativen Ausdruck der Anziehung des Mondes darstellte.
Kurz, die Laienwelt hätte von dieser Arbeit nicht das Geringste verstanden. Dennoch erschien es angezeigt, die Angaben und Endergebnisse, um derenwillen sich die ganze Welt schon seit einigen Wochen so ausnehmend beunruhigte, öffentlich bekanntzugeben.
Das überließ man denn auch den Tagesblättern zur Einsicht, gleich nachdem die Gelehrten der Sachverständigen-Commission die Formeln des berühmten Rechners geprüft, und das brachten alle öffentlichen Blätter ohne Unterschied des Parteistandpunktes pflichtschuldigst zur Kenntniß der Allgemeinheit.
Ueber die Arbeit J. T. Maston’s kam es zu keinem weiteren Meinungsaustausche. Ein richtig aufgestelltes ist schon ein zur Hälfte gelöstes Problem, sagte man, und das traf bezüglich des vorliegenden in hervorragendem Maße zu. Uebrigens waren die Berechnungen mit so viel Genauigkeit und Verläßlichkeit ausgeführt, daß die Sachverständigen-Commission gar nicht daran dachte, deren Ergebnisse und die dadurch bedingten Folgen in Zweifel zu ziehen. Wurde das Vorhaben mit Berücksichtigung dieser Unterlagen durchgeführt, so mußte die Erdachse unfehlbar eine Lagenveränderung erleiden und mußten die vorausgesehenen Umwälzungen in vollem Umfange
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