Keine Angst vor Anakondas
packt eine hintere Körperschlinge und stemmt sie in die Höhe. Selbst noch bis zum Bauch im Wasser stehend, reicht er uns das schuppige Reptil und schreit: »Nehmt den Schwanz und zieht sie ins Boot!« Sofort greifen sechs Hände gleichzeitig nach dem Reptil, und tatsächlich gelingt es uns in gemeinsamer Anstrengung, die Anakonda festzuhalten. Das Boot schwankt bedenklich und treibt etwas mit der starken Strömung ab. Wasser schwappt herein, als ein Teil des Anakonda-Körpers auf dem Bootsrand aufliegt. Das Boot ist aus Metall und würde sofort sinken, wenn es mit Wasser vollliefe. Wir verlagern also schnell unser Gewicht auf die andere Seite, ohne die Schlange loszulassen.
Wir wollen die Anakonda ins Boot hieven, doch so leicht lässt sich diese gigantische Schlange nicht überwältigen. Sie ist Kraft pur und hat sich im Gewirr der Sträucher um dicke Äste gewickelt. Eine Pattsituation ist entstanden. Die Anakonda kann nicht flüchten, wir sie nicht ins Boot ziehen. Und wieder traue ich meinen Augen nicht, als Mick im Wasser in das Dickicht zu der Anakonda vordringt. Der ist ja komplett lebensmüde, denke ich. Er versucht sie von den Ästen zu lösen. Mick ist in Reichweite ihres Kopfes, der zunächst noch unter der Wasseroberfläche abgetaucht bleibt. Die Anakonda kämpft und will sich aus unserem Griff befreien.
Mick schafft es alleine nicht. Plötzlich sehe ich, wie er ins Wasser greift und angestrengt an seinem Bein hantiert. Die Anakonda hat eine Schlinge um sein Bein gelegt! Wenn sie ihn jetzt beißt, weitere Schlingen um ihn legt und ihn unter Wasser zieht, dann hat er ein ernstes Problem. Mick ist in großer Gefahr. Doch das Gesträuch vor mir ist viel zu dicht, als dass ich ihm direkt zu Hilfe kommen könnte.
Ohne nachzudenken, springe ich trotzdem auf der Flussseite ins Wasser, schwimme um das Boot herum und arbeite mich zu ihm in das Gestrüpp vor. Mir ist äußerst mulmig zumute, als ich unter zwei dicken Ästen hindurchtauchen muss, um zu Mick zu gelangen. Bei ihm angekommen, packen wir gemeinsam den sich windenden Körper und befreien mühsam sein Bein.
Das Haupt der Medusa
Plötzlich taucht der riesige Kopf des Reptils zwischen uns und dem Boot auf. Womöglich braucht die Schlange frische Luft. Ich weiß allerdings aus Erfahrung, dass Anakondas viel länger ohne Sauerstoff auskommen. Vermutlich will sie sich orientieren – oder sich aggressiver zur Wehr setzen. Dicke Regentropfen prasseln mittlerweile ins Wasser und erschweren der Anakonda die Orientierung. Doch sie hat mich entdeckt und starrt mich bewegungslos an. Dieser Moment von Angesicht zu Angesicht lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich verharre bewegungslos.
Schon mehrfach bin ich von Schlangen gebissen worden. Für die Psyche gibt es kaum etwas Schlimmeres als das panische Erschrecken angesichts eines auf dich zufliegenden Schlangenkopfes mit weit geöffnetem Maul, dessen Zähne sich unweigerlich in deine Haut und dein Fleisch graben werden. Ein Schock vom Feinsten! Dann der Biss. Ganz kurz nur, das ist ausreichend. Die kleinen nadelartigen Wunden sind allerdings nicht wirklich das Problem, außer natürlich bei Bissen von Giftschlangen. Aber: Wer weiß schon, ob ihn eine giftige oder eine harmlose Schlange gebissen hat?! Wie aus einem dunklen Albtraum kriecht die Angst ins Bewusstsein, dass die Schlange ein tödliches Gift injiziert haben könnte. Manch einer ist schon am Schock und der Angst vor einem giftigen Biss gestorben, obwohl die Schlange zu den harmlosen gehörte.
Mich haben bisher immer nur ungiftige Schlangen erwischt, vermutlich, weil ich als Schlangenexperte entsprechend lässig mit denen umging, die ich als ungiftig erkannte. Gebissen wurde ich immer in die Hände. Auch auf dieser Expedition bin ich nicht verschont geblieben. Die Kameraleute hatten mich gebeten, einen Hundskopfschlinger – ja, so heißt die Art wirklich – aus dem Schatten auf einen Ast in das blendende Licht des herannahenden Abends zu setzen. Diese Schlangenart ist giftgrün und gehört wie die Anakonda zu den Riesenschlangen. Allerdings ist sie bedeutend kleiner und darauf spezialisiert, mit zwei besonders langen Fangzähnen Vögel aus der Luft zu erbeuten. Ich hatte nicht bedacht, dass Schlangen, die Vögel im Flug abgreifen können, extrem schnell sind. Als ich sie losließ, schoss sie auf meine Hand zu und hieb ihre beiden Fangzähne mit Schwung in meinen Daumen. Es tat ziemlich weh. Ich säuberte und desinfizierte die beiden Wunden,
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