Keine Angst vor Anakondas
ein Dutzend Zähne bohrten sich in meine Hand. Blut lief die nassen Finger hinab und färbte meine Hand rot. Das alles geschah zu meinem Leidwesen ausgerechnet in bestem Blickwinkel vor laufender Kamera. Das Team freute sich, jetzt hatten sie ihre erhofften Bilder. Diese Szene wurde später in der Dokumentation mehrfach und in Zeitlupe gezeigt!
Abends betrachtete ich das Muster der nadelstichartigen Bisswunden. Es kam mir vor, als hätte mir María ihren persönlichen Stempel hinterlassen. Vielleicht war es ja ihre Unterschrift zur Teilnahme am Projekt, die sie ausgerechnet mir geben wollte. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann sah es allerdings eher nach einer Kündigung aus.
Keine der Schlangen, die mich gebissen haben, ist jedoch annähernd so groß gewesen wie die Anakonda, mit der ich mich jetzt in Guyana, im Fluss lauernd, konfrontiert sehe. Sie nimmt mich ins Visier und hat guten Grund, verärgert zu sein. Bei ihr würde ich die Hand nicht zurückziehen können, sollte sie mich mit ihren gut 100 etwa drei Zentimeter langen Zähnen packen.
Die Anakonda würde nicht nur beißen, sondern sich auch um mich wie um eine Beute winden und zudrücken. Anakondas sind bei dieser Nahkampfmethode besonders geschickt. Sie jagen im Wasser und drücken den umschlungenen Angreifer unter die Wasseroberfläche. Die Beute ersäuft elendiglich. So werden die Anakondas im Kampf kaum verletzt und müssen weniger Energie aufbringen. Im Wasser sind sie klar im Vorteil, folglich auch besonders gefährlich.
Mick und ich sind immer noch im Wasser und in Reichweite des Anakonda-Weibchens. Ein Frontalangriff des Reptils wäre jetzt fatal. Sie ist die Herrscherin des Flusses und es nicht gewohnt, dass sich Tiere an sie heranwagen. Immer noch funkeln mich ihre Augen an, während sie mich mit ihrem Blick fixiert. Das sieht nicht gut aus, denke ich. Vielleicht ist es aber genau dieser Blick zu mir, der sie von dem Geschehen um sie herum ablenkt. Geistesgegenwärtig hat sich Bill den Stock mit der Seilschlaufe geschnappt und legt sie ohne Umschweife um ihr Haupt. Er zieht die Schlaufe zu, sofort will die Anakonda seitlich ausbrechen. Zumindest kann sie uns jetzt nicht mehr erreichen, denke ich. Jörg hält noch immer den Schwanz in seinen Händen. »Lass jetzt den Schwanz los, hilf mir mit dem Seil!«, brüllt Bill hektisch. Jörg lässt den Schwanz ins Wasser platschen, und gemeinsam ziehen sie nun den Kopf der sich heftig wehrenden Anakonda zum Boot. Als sie den Kopf über den Bootsrand hieven, schnappt sich Bill den Hals des Ungetüms mit beiden Händen, um zu verhindern, dass sich seine langen, spitzen Zähne in Arme oder Beine der Bootsbesatzung bohren. Die Anakonda droht: Das Maul ist weit aufgerissen. Ihr zischender Atem vermischt sich mit dem von Bill.
Das Boot schaukelt heftig und gerät erneut in Schieflage. Wieder schwappt Wasser über die Reling. Stück für Stück ziehen Bill und Jörg die Schlange ins Boot. Mick und ich helfen, tief im Strom stehend, mit, indem wir immer wieder ihren in die Sträucher verschlungenen Körper losmachen – und auch unsere Beine von ihm befreien. Wir sind völlig außer Atem, nass, verdreckt, zerkratzt und erschöpft, als das letzte Ende der Schlange endlich über den Bootsrand rutscht.
Ich wate zum Boot, um mir einen Überblick zu verschaffen. Es schüttet jetzt aus allen Kübeln. Bill hält weiterhin den Kopf der Schlange fest, während Jörg noch mit dem sich windenden Körper kämpft. Wir klettern schnell ins Boot und helfen ihm, die Schlange zu halten. Jetzt haben wir sie sicher. Ich schaue auf die Anakonda und kann es kaum fassen: Was für ein kapitaler Fang! Geschätzte 120 Kilogramm Schlange wälzen sich vor mir im Boot. Später beim Vermessen werde ich feststellen, dass sie eine Länge von annähernd sechs Metern besitzt. Sie ist größer als die über 500 Anakondas eines Forschungsprojektes in den Überschwemmungssavannen im benachbarten Venezuela. Wir sind begeistert. Ein Volltreffer! Uns ist der große Wurf geglückt. Dieses Exemplar ist ein Beleg dafür, dass die Anakondas an ganzjährig Wasser führenden Flüssen größer werden als in Regionen mit saisonaler Trockenheit. Wir sind uns sicher: Wenn wir noch weitere Anakondas in der unberührten Wildnis Guyanas finden, werden noch weit größere Exemplare darunter sein. In glaubwürdigen Berichten ist von bis zu neun Meter langen Schlangen die Rede.
Und es gab sogar noch größere Schlangen: Titanoboa , eine nahe Verwandte der
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